"Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt"

Die interdisziplinäre Tagung am 3. bis 5. Juni 2010 an der HBK Braunschweig, organisiert von Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab

Anfang Juni 2010 hat die Tagung "Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt" in Braunschweig versucht, eine Leerstelle der Kultur- und Medienwissenschaft mit auszufüllen und die Komplexität des Phänomens Metal herauszustellen. Dieser Blog bündelt die Perspektiven der Konferenz und versucht den dort interdisziplinär zusammengeführten Strom aus Ideen, Projekten und Perspektiven vorläufig fortzuführen.

Freitag, 17. August 2012

CFP: Geräusch - 26. DVSM-Symposium

Im Rahmen des 26. DVSM-Symposiums laden wir vom 11.-13 April 2013 Studierende und Doktoriende verschiedenster Diszplinen – Musik-, Medien-, Tanz-, Theater-, Film- und Literaturwissenschaften, bildende Künstler sowie Musik- und Filmschaffende – nach Basel ein, um zusammen das Geräusch zu erforschen. Neben den wissenschaftlichen Vorträgen wird das Geräuschhafte in Konzerten, Performances, Lesung und Klanginstallation gefeiert. Die Erfahrungen aus dem Symposium werden in einem Sammelband publiziert.
Wer sich für einen Beitrag bewerben möchte, schickt bis zum 30.11.2012 ein abstract von max. 2000 Zeichen und eine Kurzvita an die Adresse: symposium2013@dvsm.de
Das Geräusch ist das Andere der Musik. Geräusche sind noch keine Musik oder keine Musik mehr, Geräuschkulisse oder Störgeräusch. Das Geräusch als Negation des musikalischen Klangs wird jedoch seit jeher unterlaufen; Musiker integrieren neue Klangquellen und Spieltechniken in ihr Repertoire, Komponisten nehmen Klangtypen fremder Kulturen in ihre Werke auf, Geräusche werden als Musik gehört oder was als Musik galt, wird als Lärm empfunden. Die Grenzen zwischen Musik und Geräusch waren immer schon beweglich, unscharf und umstritten. Die Kunstmusik des zwanzigsten Jahrhunderts aber ist geprägt vom Diskurs um diese Abgrenzung, ein Streit, der eine Doppelbewegung ausführt: Die Ausweitung der Grenzen des Musikalischen einerseits – das Geräusch wird in die Musik einbezogen bis zum Punkt, an dem für John Cage alles Musik ist – und andererseits das Ausgreifen des Geräuschhaften auf die Musik: Musiken werden zur verfügbaren Ware, zur Kaufhausberieselung, zum akustischen Hintergrund; eine Vereinnahmung der Musik ins Alltägliche, von der sich Musik mit Kunstanspruch stetig abzugrenzen versucht.
In diesem doppelten Streit definiert sich Musik immer auch über ihr Anderes: das Geräusch. Es ist für die Musikwissenschaft daher unerlässlich, das Geräusch zu untersuchen, wenn sie Musik verstehen will. Gleichzeitig verlangt die Vielfalt der Geräusche eine Erweiterung der musikologischen Aufmerksamkeit. Im Spannungsfeld zwischen der modernen Universalität der Musik – Alles ist Musik – und ihrer notwendigen Kehrseite – Alle Musik ist geräuschhaft – gibt es eine Vielzahl von Abstufungen, Grauzonen, Verbindungen und Brüchen. Was macht die Musik zur Musik?
Gibt es eine Eigenschaft, die sie vom Geräusch trennt oder besteht diese Differenz allein in unserem Verhalten?
Eine Musik hören, einer Melodie zuhören, einen Klang vernehmen, entendre un bruissement, auf ein Rascheln horchen, listen to a sound, sich einem Lärm aussetzen, subir un bruitage, écouter la radio, aber entendre un bruit – ein Geräusch verstehen?
Wie der Philosoph Jean-Luc Nancy der inneren Verwobenheit und Differenz von son et sens, von Klang und Sinn, nachgeht, wollen wir die Trennung zwischen Musik und Geräusch, zwischen verstehbarem Konstrukt und stummem Rauschen, aufbrechen und in sich verkehren; inwiefern wohnt jedem Sinnphänomen, sei es Sprache, Musik, Bild oder Tanz, etwas Rauschartiges, Unverständliches inne und spricht nicht jedes Andere des Sinns – Schrei, Pfiff, Fleck oder Stolpern – unser Verstehen an? Was geschieht, wenn ich mich zu Musik, wie zu einem Geräusch verhalte und die akustische Fülle meiner Umwelt als Musik wahrnehme; wie lassen sich die verschiedenen Modi, in denen ich mich auf Hörbares beziehe, ineinander übersetzen und wie werden sie wechselseitig produktiv?
Die Wissenschaftssprache ist um den Sehsinn zentriert: Der Sehsinn steht Modell für das Erkennen überhaupt, sodass das Visuelle und seine Metaphern selbst die Sprache der Musikwissenschaft dominieren. Wir möchten das Geräusch zum Ausgangspunkt nehmen, um der Musikwissenschaft das Hören wiederanzueignen. Geräusche lassen sich auf keine Parameter der Komposition reduzieren, sie widersetzen sich der Visualisierung der Partitur; Geräusche wollen erfahren, gehört, ausgehorcht werden. Diese Wiederaneignung des Hörens muss über den
Austausch mit Hörern geschehen, die einen anderen Zugang zur Musik haben: Das florierende Feld der Klangkunst, die Geräuschforschung der musique concrète, die Tontechnik der Filmkunst, Klanggestaltung der Literatur, bildenden Kunst, Architektur oder die breit geführten Debatten der sound studies. Diesen anderen Hörweisen, die sich weder unmittelbar mit dem Begriff der Musik noch jenem der Musikwissenschaft identifizieren, mit diesen Anderen der Musikwissenschaft wollen wir über das Geräusch ins Gespräch treten.

CFP: This Is The Mordern World – For A Social History Of Rock Music

International Conference,  Université Charles-de-Gaulle Lille 3 (Lille, France), 13th -15th June 2013

In Anglo-American countries, the history of rock music has been institutionalized since the 1970s, notably in musicology and cultural studies departments. In France, on the contrary, it has been considered, until recently, as a rather minor subject, abandoned to journalists and amateurs. Although French musicologists, sociologists and specialists of British and American literatures and civilizations did produce a large amount of work on popular music, French historians encountered rock and roll mostly by chance, while working on the history of youth or the history of the record industry. Bertrand Lemonnier‟s pioneering work (L’Angleterre des Beatles. Une histoire culturelle des années soixante, Seuil, 1995) remained for a long time an exception. Things are beginning to change : Thesis and master‟s papers on the history of rock music are being defended, and history departments are more and more interested in these questions.
There are many possibilities for research in social, cultural, economic and political history. If the history of rock music implies the history of musical genres, it cannot be reduced to it. Rock music is a complex socio-musical phenomenon, revealing of social and cultural changes essential to the understanding of contemporary societies. This conference aims at offering an outline of the richness of the field, in an international and interdisciplinary way.
This conference welcomes scholars as well as PhD students working on the history of rock and popular music, whatever their discipline. Roundtables will be organized in order to confront the point of view of journalists, musicians and amateurs…
« Rock music » is used here as a blanket term for the different music styles that evolved from rock and roll. Papers dealing with jazz, folk music, hip hop or electronic music may be submitted, if they appear relevant to the history of rock music. Papers can cover a period from the 1950s until today.
The geographical area is not limited: although proposals dealing with the Anglo-American world (especially The United States and Great Britain) will be accepted, papers dealing with other European spaces (France, Germany, Benelux, Scandinavia, Mediterranean countries, Central and Oriental Europe) and extra-European spaces (Africa, Asia, Latin america, Oceania) will be particularly welcomed.
All submissions should be original pieces which are not published elsewhere. Paper presentations at the conference will be a maximum of 20 minutes long. They can be delivered in French or in English.
We invite papers on the following subjects:
-sources and methodologies:
* how to locate and create archives for rock music; private collections and collectors; oral history, sound and audiovisual archives...
* historians and rock music, interdisciplinarity, roles of journalists, professionals and fans in the history of rock music...
-cultural transfers and national identities : papers dealing with the acculturation (or not) of rock music in different parts of the world, as well as papers focusing on specific and original national or local rock scenes will be especially welcomed. Approaches in terms of global history, contrastive history, connected history and comparative history are particularly encouraged.
-social and economic history : history of record labels and of the recording industry; history of rock music venues, clubs and tours ; history of sound recording, history of music instruments…
-social and political history :
*rock music and politics : counter-cultures, protest songs, rock music and youth culture, rock music and 1968, rock music and communism, rock music and the far-right, censorship, religion, rock music and public policies…
*gender studies : rock music and feminism, rock music and masculinities, rock music and sexualities, rock music and homosexualities, transgender/queer rock music…
*postcolonial studies : rock music and ethnicity, rock music and immigration, rock music and black cultures, rock music and islam…
-social and cultural history :
*media history : rock music and the press, rock criticism, rock music on the radio and television, rock music and the internet
* popular culture, mass culture, « high » culture : rock music and literature, rock music and cinema, rock music and visual arts, rock music and comics, fanclubs, fandoms…
*visual studies : history of record covers, posters, videos ; history of stage performance

Proposals for papers (CV + abstract of no more than 300 words), in French or in English, should be submitted to Arnaud Baubérot (bauberot@u-pec.fr) and Florence Tamagne (ftamagne@noos.fr) by 15 September 2012. Response to authors by 15 October 2012.

Krebsgang vor Berggletscher. Jan Grünwalds "Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeiten im Black Metal".

Es beginnt – für ein Buch über archaische Männlichkeit im Black Metal durchaus sinnfällig – mit dem Eisenhans, dem den Gebrüdern Grimm entlehnten Sinnbild einer mythopoetischen Männerbewegung.  Gegenstand der Dissertation von Jan Grünwald sind Inszenierungspraktiken und Repräsentationsmodi einer spezifischen (Hyper-) Maskulinität, die sich im symbolischen Repertoire des Metal entfaltet. Die Frage ist also, ob der „Wilde Mann“ des Grimmschen Märchens (und des reichlich muffigen Buches von Robert Bly) etwas zu tun hat mit nietenbesetzten, axtschwingenden, corpspaint-tragenden Norwegern? Das Buch geht dieser Frage (methodisch vor allem Anhand einer großen Zahl von einschlägigen Videoclips) in vier Schritten nach: nach einer vorläufigen Definition von archaischer Männlichkeit widmet es sich zunächst der Frage des Raumes, in dem sich eine solche Männlichkeit entfalten kann, setzt dieses Double von Räumen und Inszenierungen in den Kontext eines spezifischen „Authentizitätsbegriffs“ um dann zu einer Bewertung zu kommen. Irgendwo zwischen Deleuzianischem Werden, Bergfilmen, brennenden Stabkirchen und trueness entsteht also eine archaische Männlichkeit im Black Metal, die, so der Klappentext, so „maßlos übertrieben“ ist, dass sie „Bruch und Distanzierung“ zulässt.
Was genau umfasst aber der Begriff der archaischen Männlichkeit? Das Buch begreift Männlichkeit doppelt ambivalent: als Teil einer Dominanz- wie einer Gegenkultur; und als Erinnerung an eine Vergangenheit, die so nie Gegenwart war (S. 54). Das greift gut: ein übliches Manowar-Cover kann somit gleichzeitig als chauvinistisch wie subversiv markiert werden; und als ein Regress in eine Zeit, in der Männer noch Männer waren, und die es so nie gegeben hat. „Der Begriff des Archaischen deutet nur den Wunsch nach Konstanz und Rückgewandtheit an, ist jedoch immer einem (geschichtslosen) Prozess unterworfen: sich im Außerhalb zu positionieren. Dieser Wille zur Differenz setzt dabei voraus, sich im Innerhalb auszukennen, um sich relational dazu zu positionieren. Die Relationalität der archaischen Männlichkeit zur Gegenwart ist Teil ihres Werdens“ (S.57). Archaische Männlichkeit wird bei Grünwald so zu einem als „re-enactment“ (S.59) einer fiktionale Hyper-Maskulinisierung, die sich  vor allem in Repräsentationen, Bildern und fiktionale Settings niederschlägt. Rollenspiele eben. „Repräsentation von Männlichkeit ist nie Männlichkeit selbst“ (S.59) – die Repräsentation von Männlichkeit ist zum anderen dann auch eine Inszenierungspraktik von Prototypen.
Die Analysen dieser Inszenierungen und Repräsentationen bilden dann auch konsequent der Hauptteil des Buchs. Leitidee dabei ist, dass diese Inszenierungspraktiken des Black Metal-Manns sich nicht auf einer beliebigen Bühne entfalten, sondern in einem (Natur-) Raum. Die Kapitel drei bis sechs entfalten dabei (wesentlich durch die Arbeiten der Soziologien Martina Löw inspiriert) eine Art Taxonomie solcher Inszenierungs-Topologien. Hier liest sich das Buch am besten, wenn man gleichzeitig die Vielzahl der analysierten Videos parallel betrachten kann. Jan Grünwald etabliert hier einen Begriff des (ideologischen) Naturraums, heterotoper Räume, filmischer Räume – eine Reihe produzierter Topologien, die in je unterschiedlicher Weise daran beteiligt sind, die Inszenierungspraktiken archaischer Männlichkeit herauszutreiben, zu evozieren, zu konterkarieren, zu transgressieren usf. Dieser Teil ist zwar schon der ausführlichste des Buches – dennoch würde ich mir gerade hier an mancher Stelle noch mehr Ausführlichkeit wünschen: das (bei Foucault entliehene) Konzept der Heterotopie ist vielversprechend, lässt sich aber gerade in Bezug auf seien Relation zur Utopie sicherlich noch ausbauen; das Konzept des Naturraums wirft die Frage nach dem Begriff des „Natürlichen“ auf; die Diskussion des Filmraums kann nur an der Oberfläche dessen kratzen, was die Filmwissenschaft zum Thema zusammen getragen hat; die Ästhetische Theorie (das Erhabene!) könnte auch noch viel beitragen… Aber natürlich bedeutet das nicht, dass die Argumentation hier nicht aufgeht – das Material wirft nur noch viel mehr Fragen auf, als es Jan Grünwald gelingt zu beantworten. Was nicht gegen Jan, sondern für das Material spricht. Wer sich in schneller Folge Immortals „Grim and Frostbitten Kingdom“, Burzums „Dunkelheit“ und dann ggf. noch Laibachs „Life is Life“-Version ansieht, dann noch ein wenig auf Bergmetal surft  bekommt einen Eindruck davon, wie weit gefasst, komplex und diskursiv dicht das Geflecht aus Räume und Inszenierungen ist, dass zur Konstitution archaischer Männlickeit zusammen findet. Das ganze kulminiert in der Darstellung des Buches im Begriff des Baudrillardschen Simulakra (S.149)
Das – meines Erachtens – allerdings pointierteste Argument stellt sich im Kapitel 8 „Ereignisraum“ ein: hier macht das Buch eine guten Vorschlag, wie das „Simulakrum“ die nötige Schwere und „Echtheitsanmutung“ erlangt, die für seine Effektivität nötig sind. Es ist die Rückbindung an die Gründungsmythen des norwegischen Black Metals, die gebetsmühlenartige vorgetragene Authentifizierung des eigenen (Inszenierungs-)Tuns durch den Verweis auf Mord, Totschlag, Brandstiftung und Suizid. Die Männlichkeit des Black Metals konstituiert sich über „trueness“; aber eine trueness, die nicht behauptet oder ausgekämpft werden muss, sondern sich (ähnlich der „realness“ im HipHop (S.191)) durch die Faktizität von Ereignissen einstellt. "Im Ereignis, welches das Subjekt hervorbringt, bzw. transformiert, liegt eine universelle Singularität, die als authentischer Moment beschrieben werden kann. Deswegen ist die Rückbindung auf ein Ereignis so wichtig, weil darin etwas liegt, das mehr ist als Repräsentation: ein Mord kann stattgefunden haben oder Mythos sein, der Ablauf des Tötungsaktes kann verherrlicht oder herunter gespielt werden – das Bekennen zum Ereignis des Mordes bleibt aber bestehen“ (S.189f).  Und genau hier, in der Ambivalenz von Zulassen und Zurückweisen entsteht der Raum einer merkwürdigen Aufladung, der Abbaths Krebsgang vor Berggletscher als Inszenierungspraxis von Männlichkeit erkennbar werden lässt, die ihre Hypermaskulinität einerseits der Anbindung an das Ereignishafte eines Mordes  verdankt – Verantwortung aber zurückweist, da das Einverständnis aller in den Inszenierungsmoment mitgedacht ist: „Das heißt, auch wenn die Inszenierungspraxen des Black Metal als eine Stilwelt innerhalb anderer Stile verstanden werden müssen, so ist es doch von enormer Wichtigkeit, diese selbstreflexive Ebene nicht zuzulassen, um Authentizität zu erlangen." (S.190)
Bruch und Distanzierung der Männlichkeit im Black Metal sind also gar nicht so sehr Momente der Überidentifikation (S. 211) oder der (Selbst-) Ironisierung – es sind vielmehr die Momente, in denen Männlichkeit gerade in ihrer Übertreibung sichtbar und damit trangressiv wird: „men over-act and men disapear“ (S. 197).

Grünwald, Jan G. (2012): Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeiten im Black Metal. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Campus Verlag (Reihe: Sozialwissenschaften). ISBN 978-3-593-39645-3, 34,90 €

Postscriptum: Eine Rezension des Buchs von Erika  Becker (powermetal.de) findet sich übrigens hier.

Donnerstag, 9. August 2012

‚Metal up your Ass, Lübben City‘

Unter dem Titel "Geschichte wird gemacht - Zur Historiographie populärer Musik" findet die 23. Arbeitstagung des Arbeitskreis Studium Populärer Musik e.V.  in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft der Universität Basel vom 23.-25. November 2012 an der Universität Basel statt. Sehr gutes Programm - unter anderem auch mit dem oben zitierten hochprogramatischen Vortrag.