"Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt"

Die interdisziplinäre Tagung am 3. bis 5. Juni 2010 an der HBK Braunschweig, organisiert von Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab

Anfang Juni 2010 hat die Tagung "Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt" in Braunschweig versucht, eine Leerstelle der Kultur- und Medienwissenschaft mit auszufüllen und die Komplexität des Phänomens Metal herauszustellen. Dieser Blog bündelt die Perspektiven der Konferenz und versucht den dort interdisziplinär zusammengeführten Strom aus Ideen, Projekten und Perspektiven vorläufig fortzuführen.

Freitag, 17. August 2012

Krebsgang vor Berggletscher. Jan Grünwalds "Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeiten im Black Metal".

Es beginnt – für ein Buch über archaische Männlichkeit im Black Metal durchaus sinnfällig – mit dem Eisenhans, dem den Gebrüdern Grimm entlehnten Sinnbild einer mythopoetischen Männerbewegung.  Gegenstand der Dissertation von Jan Grünwald sind Inszenierungspraktiken und Repräsentationsmodi einer spezifischen (Hyper-) Maskulinität, die sich im symbolischen Repertoire des Metal entfaltet. Die Frage ist also, ob der „Wilde Mann“ des Grimmschen Märchens (und des reichlich muffigen Buches von Robert Bly) etwas zu tun hat mit nietenbesetzten, axtschwingenden, corpspaint-tragenden Norwegern? Das Buch geht dieser Frage (methodisch vor allem Anhand einer großen Zahl von einschlägigen Videoclips) in vier Schritten nach: nach einer vorläufigen Definition von archaischer Männlichkeit widmet es sich zunächst der Frage des Raumes, in dem sich eine solche Männlichkeit entfalten kann, setzt dieses Double von Räumen und Inszenierungen in den Kontext eines spezifischen „Authentizitätsbegriffs“ um dann zu einer Bewertung zu kommen. Irgendwo zwischen Deleuzianischem Werden, Bergfilmen, brennenden Stabkirchen und trueness entsteht also eine archaische Männlichkeit im Black Metal, die, so der Klappentext, so „maßlos übertrieben“ ist, dass sie „Bruch und Distanzierung“ zulässt.
Was genau umfasst aber der Begriff der archaischen Männlichkeit? Das Buch begreift Männlichkeit doppelt ambivalent: als Teil einer Dominanz- wie einer Gegenkultur; und als Erinnerung an eine Vergangenheit, die so nie Gegenwart war (S. 54). Das greift gut: ein übliches Manowar-Cover kann somit gleichzeitig als chauvinistisch wie subversiv markiert werden; und als ein Regress in eine Zeit, in der Männer noch Männer waren, und die es so nie gegeben hat. „Der Begriff des Archaischen deutet nur den Wunsch nach Konstanz und Rückgewandtheit an, ist jedoch immer einem (geschichtslosen) Prozess unterworfen: sich im Außerhalb zu positionieren. Dieser Wille zur Differenz setzt dabei voraus, sich im Innerhalb auszukennen, um sich relational dazu zu positionieren. Die Relationalität der archaischen Männlichkeit zur Gegenwart ist Teil ihres Werdens“ (S.57). Archaische Männlichkeit wird bei Grünwald so zu einem als „re-enactment“ (S.59) einer fiktionale Hyper-Maskulinisierung, die sich  vor allem in Repräsentationen, Bildern und fiktionale Settings niederschlägt. Rollenspiele eben. „Repräsentation von Männlichkeit ist nie Männlichkeit selbst“ (S.59) – die Repräsentation von Männlichkeit ist zum anderen dann auch eine Inszenierungspraktik von Prototypen.
Die Analysen dieser Inszenierungen und Repräsentationen bilden dann auch konsequent der Hauptteil des Buchs. Leitidee dabei ist, dass diese Inszenierungspraktiken des Black Metal-Manns sich nicht auf einer beliebigen Bühne entfalten, sondern in einem (Natur-) Raum. Die Kapitel drei bis sechs entfalten dabei (wesentlich durch die Arbeiten der Soziologien Martina Löw inspiriert) eine Art Taxonomie solcher Inszenierungs-Topologien. Hier liest sich das Buch am besten, wenn man gleichzeitig die Vielzahl der analysierten Videos parallel betrachten kann. Jan Grünwald etabliert hier einen Begriff des (ideologischen) Naturraums, heterotoper Räume, filmischer Räume – eine Reihe produzierter Topologien, die in je unterschiedlicher Weise daran beteiligt sind, die Inszenierungspraktiken archaischer Männlichkeit herauszutreiben, zu evozieren, zu konterkarieren, zu transgressieren usf. Dieser Teil ist zwar schon der ausführlichste des Buches – dennoch würde ich mir gerade hier an mancher Stelle noch mehr Ausführlichkeit wünschen: das (bei Foucault entliehene) Konzept der Heterotopie ist vielversprechend, lässt sich aber gerade in Bezug auf seien Relation zur Utopie sicherlich noch ausbauen; das Konzept des Naturraums wirft die Frage nach dem Begriff des „Natürlichen“ auf; die Diskussion des Filmraums kann nur an der Oberfläche dessen kratzen, was die Filmwissenschaft zum Thema zusammen getragen hat; die Ästhetische Theorie (das Erhabene!) könnte auch noch viel beitragen… Aber natürlich bedeutet das nicht, dass die Argumentation hier nicht aufgeht – das Material wirft nur noch viel mehr Fragen auf, als es Jan Grünwald gelingt zu beantworten. Was nicht gegen Jan, sondern für das Material spricht. Wer sich in schneller Folge Immortals „Grim and Frostbitten Kingdom“, Burzums „Dunkelheit“ und dann ggf. noch Laibachs „Life is Life“-Version ansieht, dann noch ein wenig auf Bergmetal surft  bekommt einen Eindruck davon, wie weit gefasst, komplex und diskursiv dicht das Geflecht aus Räume und Inszenierungen ist, dass zur Konstitution archaischer Männlickeit zusammen findet. Das ganze kulminiert in der Darstellung des Buches im Begriff des Baudrillardschen Simulakra (S.149)
Das – meines Erachtens – allerdings pointierteste Argument stellt sich im Kapitel 8 „Ereignisraum“ ein: hier macht das Buch eine guten Vorschlag, wie das „Simulakrum“ die nötige Schwere und „Echtheitsanmutung“ erlangt, die für seine Effektivität nötig sind. Es ist die Rückbindung an die Gründungsmythen des norwegischen Black Metals, die gebetsmühlenartige vorgetragene Authentifizierung des eigenen (Inszenierungs-)Tuns durch den Verweis auf Mord, Totschlag, Brandstiftung und Suizid. Die Männlichkeit des Black Metals konstituiert sich über „trueness“; aber eine trueness, die nicht behauptet oder ausgekämpft werden muss, sondern sich (ähnlich der „realness“ im HipHop (S.191)) durch die Faktizität von Ereignissen einstellt. "Im Ereignis, welches das Subjekt hervorbringt, bzw. transformiert, liegt eine universelle Singularität, die als authentischer Moment beschrieben werden kann. Deswegen ist die Rückbindung auf ein Ereignis so wichtig, weil darin etwas liegt, das mehr ist als Repräsentation: ein Mord kann stattgefunden haben oder Mythos sein, der Ablauf des Tötungsaktes kann verherrlicht oder herunter gespielt werden – das Bekennen zum Ereignis des Mordes bleibt aber bestehen“ (S.189f).  Und genau hier, in der Ambivalenz von Zulassen und Zurückweisen entsteht der Raum einer merkwürdigen Aufladung, der Abbaths Krebsgang vor Berggletscher als Inszenierungspraxis von Männlichkeit erkennbar werden lässt, die ihre Hypermaskulinität einerseits der Anbindung an das Ereignishafte eines Mordes  verdankt – Verantwortung aber zurückweist, da das Einverständnis aller in den Inszenierungsmoment mitgedacht ist: „Das heißt, auch wenn die Inszenierungspraxen des Black Metal als eine Stilwelt innerhalb anderer Stile verstanden werden müssen, so ist es doch von enormer Wichtigkeit, diese selbstreflexive Ebene nicht zuzulassen, um Authentizität zu erlangen." (S.190)
Bruch und Distanzierung der Männlichkeit im Black Metal sind also gar nicht so sehr Momente der Überidentifikation (S. 211) oder der (Selbst-) Ironisierung – es sind vielmehr die Momente, in denen Männlichkeit gerade in ihrer Übertreibung sichtbar und damit trangressiv wird: „men over-act and men disapear“ (S. 197).

Grünwald, Jan G. (2012): Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeiten im Black Metal. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Campus Verlag (Reihe: Sozialwissenschaften). ISBN 978-3-593-39645-3, 34,90 €

Postscriptum: Eine Rezension des Buchs von Erika  Becker (powermetal.de) findet sich übrigens hier.

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