Es beginnt – für ein Buch über archaische Männlichkeit im Black
Metal durchaus sinnfällig – mit dem Eisenhans, dem den Gebrüdern Grimm entlehnten
Sinnbild einer mythopoetischen Männerbewegung. Gegenstand der Dissertation von Jan Grünwald sind
Inszenierungspraktiken und Repräsentationsmodi einer spezifischen (Hyper-) Maskulinität,
die sich im symbolischen Repertoire des Metal entfaltet. Die Frage ist also, ob
der „Wilde Mann“ des Grimmschen Märchens (und des reichlich muffigen Buches von
Robert Bly) etwas zu tun hat mit nietenbesetzten, axtschwingenden, corpspaint-tragenden
Norwegern? Das Buch geht dieser Frage (methodisch vor allem Anhand einer großen
Zahl von einschlägigen Videoclips) in vier Schritten nach: nach einer vorläufigen
Definition von archaischer Männlichkeit widmet es sich zunächst der Frage des Raumes,
in dem sich eine solche Männlichkeit entfalten kann, setzt dieses Double von Räumen
und Inszenierungen in den Kontext eines spezifischen „Authentizitätsbegriffs“ um
dann zu einer Bewertung zu kommen. Irgendwo zwischen Deleuzianischem Werden, Bergfilmen,
brennenden Stabkirchen und trueness entsteht also eine archaische Männlichkeit
im Black Metal, die, so der Klappentext, so „maßlos übertrieben“ ist, dass sie „Bruch
und Distanzierung“ zulässt.
Was genau umfasst aber der Begriff der archaischen Männlichkeit?
Das Buch begreift Männlichkeit doppelt ambivalent: als Teil einer Dominanz- wie
einer Gegenkultur; und als Erinnerung an eine Vergangenheit, die so nie Gegenwart
war (S. 54). Das greift gut: ein übliches Manowar-Cover kann somit gleichzeitig
als chauvinistisch wie subversiv markiert werden; und als ein Regress in eine Zeit,
in der Männer noch Männer waren, und die es so nie gegeben hat. „Der Begriff des
Archaischen deutet nur den Wunsch nach Konstanz und Rückgewandtheit an, ist jedoch
immer einem (geschichtslosen) Prozess unterworfen: sich im Außerhalb zu positionieren.
Dieser Wille zur Differenz setzt dabei voraus, sich im Innerhalb auszukennen, um
sich relational dazu zu positionieren. Die Relationalität der archaischen Männlichkeit
zur Gegenwart ist Teil ihres Werdens“ (S.57). Archaische Männlichkeit wird bei Grünwald
so zu einem als „re-enactment“ (S.59) einer fiktionale Hyper-Maskulinisierung, die
sich vor allem in Repräsentationen, Bildern
und fiktionale Settings niederschlägt. Rollenspiele eben. „Repräsentation von Männlichkeit
ist nie Männlichkeit selbst“ (S.59) – die Repräsentation von Männlichkeit ist zum anderen dann auch eine
Inszenierungspraktik von Prototypen.
Die Analysen dieser Inszenierungen und Repräsentationen bilden
dann auch konsequent der Hauptteil des Buchs. Leitidee dabei ist, dass diese Inszenierungspraktiken
des Black Metal-Manns sich nicht auf einer beliebigen Bühne entfalten, sondern in
einem (Natur-) Raum. Die Kapitel drei bis sechs entfalten dabei (wesentlich durch
die Arbeiten der Soziologien Martina Löw inspiriert) eine Art Taxonomie solcher
Inszenierungs-Topologien. Hier liest sich das Buch am besten, wenn man gleichzeitig
die Vielzahl der analysierten Videos parallel betrachten kann. Jan Grünwald etabliert
hier einen Begriff des (ideologischen) Naturraums, heterotoper Räume, filmischer
Räume – eine Reihe produzierter Topologien, die in je unterschiedlicher Weise daran
beteiligt sind, die Inszenierungspraktiken archaischer Männlichkeit herauszutreiben,
zu evozieren, zu konterkarieren, zu transgressieren usf. Dieser Teil ist zwar schon
der ausführlichste des Buches – dennoch würde ich mir gerade hier an mancher Stelle
noch mehr Ausführlichkeit wünschen: das (bei Foucault entliehene) Konzept der Heterotopie
ist vielversprechend, lässt sich aber gerade in Bezug auf seien Relation zur Utopie
sicherlich noch ausbauen; das Konzept des Naturraums wirft die Frage nach dem Begriff
des „Natürlichen“ auf; die Diskussion des Filmraums kann nur an der Oberfläche dessen
kratzen, was die Filmwissenschaft zum Thema zusammen getragen hat; die Ästhetische
Theorie (das Erhabene!) könnte auch noch viel beitragen… Aber natürlich bedeutet
das nicht, dass die Argumentation hier nicht aufgeht – das Material wirft nur noch
viel mehr Fragen auf, als es Jan Grünwald gelingt zu beantworten. Was nicht gegen
Jan, sondern für das Material spricht. Wer sich in schneller Folge Immortals „Grim and Frostbitten Kingdom“,
Burzums „Dunkelheit“ und dann ggf. noch Laibachs „Life is Life“-Version ansieht, dann noch ein wenig auf Bergmetal surft bekommt einen
Eindruck davon, wie weit gefasst, komplex und diskursiv dicht das Geflecht aus Räume
und Inszenierungen ist, dass zur Konstitution archaischer Männlickeit zusammen findet.
Das ganze kulminiert in der Darstellung des Buches im Begriff des Baudrillardschen
Simulakra (S.149)
Das – meines Erachtens – allerdings pointierteste Argument stellt
sich im Kapitel 8 „Ereignisraum“ ein: hier macht das Buch eine guten Vorschlag,
wie das „Simulakrum“ die nötige Schwere und „Echtheitsanmutung“ erlangt, die für
seine Effektivität nötig sind. Es ist die Rückbindung an die Gründungsmythen des
norwegischen Black Metals, die gebetsmühlenartige vorgetragene Authentifizierung
des eigenen (Inszenierungs-)Tuns durch den Verweis auf Mord, Totschlag, Brandstiftung
und Suizid. Die Männlichkeit des Black Metals konstituiert sich über „trueness“;
aber eine trueness, die nicht behauptet oder ausgekämpft werden muss, sondern sich
(ähnlich der „realness“ im HipHop (S.191)) durch die Faktizität von Ereignissen
einstellt. "Im Ereignis, welches das Subjekt hervorbringt, bzw. transformiert,
liegt eine universelle Singularität, die als authentischer Moment beschrieben werden
kann. Deswegen ist die Rückbindung auf ein Ereignis so wichtig, weil darin etwas
liegt, das mehr ist als Repräsentation: ein Mord kann stattgefunden haben oder Mythos
sein, der Ablauf des Tötungsaktes kann verherrlicht oder herunter gespielt werden
– das Bekennen zum Ereignis des Mordes bleibt aber bestehen“ (S.189f). Und genau hier, in der Ambivalenz von Zulassen
und Zurückweisen entsteht der Raum einer merkwürdigen Aufladung, der Abbaths Krebsgang
vor Berggletscher als Inszenierungspraxis von Männlichkeit erkennbar werden lässt,
die ihre Hypermaskulinität einerseits der Anbindung an das Ereignishafte eines Mordes verdankt – Verantwortung aber zurückweist, da
das Einverständnis aller in den Inszenierungsmoment mitgedacht ist: „Das heißt,
auch wenn die Inszenierungspraxen des Black Metal als eine Stilwelt innerhalb anderer
Stile verstanden werden müssen, so ist es doch von enormer Wichtigkeit, diese selbstreflexive
Ebene nicht zuzulassen, um Authentizität zu erlangen." (S.190)
Bruch und Distanzierung der Männlichkeit im Black Metal sind also gar nicht so sehr Momente der Überidentifikation (S. 211) oder der (Selbst-) Ironisierung – es sind vielmehr die Momente, in denen Männlichkeit gerade in ihrer Übertreibung sichtbar und damit trangressiv wird: „men over-act and men disapear“ (S. 197).
Bruch und Distanzierung der Männlichkeit im Black Metal sind also gar nicht so sehr Momente der Überidentifikation (S. 211) oder der (Selbst-) Ironisierung – es sind vielmehr die Momente, in denen Männlichkeit gerade in ihrer Übertreibung sichtbar und damit trangressiv wird: „men over-act and men disapear“ (S. 197).
Grünwald,
Jan G. (2012): Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer
Männlichkeiten im Black Metal. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Campus Verlag
(Reihe: Sozialwissenschaften). ISBN 978-3-593-39645-3, 34,90 €
Postscriptum: Eine Rezension des Buchs von Erika Becker (powermetal.de) findet sich übrigens hier.
Postscriptum: Eine Rezension des Buchs von Erika Becker (powermetal.de) findet sich übrigens hier.
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