"Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt"

Die interdisziplinäre Tagung am 3. bis 5. Juni 2010 an der HBK Braunschweig, organisiert von Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab

Anfang Juni 2010 hat die Tagung "Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt" in Braunschweig versucht, eine Leerstelle der Kultur- und Medienwissenschaft mit auszufüllen und die Komplexität des Phänomens Metal herauszustellen. Dieser Blog bündelt die Perspektiven der Konferenz und versucht den dort interdisziplinär zusammengeführten Strom aus Ideen, Projekten und Perspektiven vorläufig fortzuführen.

Die Abstracts

Julia Eckel: „Kutte & Co.“ – Zur textilen SchriftBildlichkeit des Heavy Metal

Musikstile und Kleidungsstile sind seit der Verbreitung von Musik als popkulturellem Phänomen und innerhalb musik-bezogener Szenekulturen immer schon eng miteinander verknüpft gewesen, beziehungsweise trägt oftmals erst die körperliche und textile Zurschaustellung des eigenen Musikgeschmacks zur nachhaltigen Konstitution einer Szene bei. Zum körperlichen und vestimentären Zeichenrepertoire der Heavy-Metal-Kultur werden dabei im Allgemeinen lange Haare und schwarze Jeans- oder Leder-Kleidung gezählt. Ebenso entscheidend für die äußerliche Identifizierbarkeit als „Metal-Fan“ erscheint darüber hinaus die Veräußerlichung des eigenen Szenewissens und der eigenen Musikvorlieben in Form von Band-Shirts, Aufnähern und sogenannten „Kutten“. Diese mit möglichst vielen Aufnähern gestalteten Westen erweisen sich als Kleidung mit sehr hohem szenespezifischem Informationsgehalt, lassen sich an ihnen doch die – im wahrsten Sinne des Wortes – gesammelten Lieblingsbands des Trägers und seine favorisierten Metal-Genres ablesen, teilweise auch seine politische Haltung oder (über das Aufnähen textiler Eintrittsbändchen oder Tour-Patches) seine bisherige Festival- und Live-Konzert-Biographie. Um Bandshirt, Patch und „Kutte“ als mediale Anordnung zu konzipieren, muss man dabei nicht unbedingt breite Medien-Definitionen bemühen, die Kleidung allgemein als Kommunikationsmittel identifizieren oder ihr den Medien-Status als „extension of man“ (McLuhan) zuschreiben. Durch die Omnipräsenz von Text (Bandnamen, Albumtitel etc.) in Kombination mit Bildern (Albumcover, Illustrationen etc.), beziehungsweise die explizite Schriftbildlichkeit und Bildschriftlichkeit der Bandlogos, erscheint der vestimentäre Charakter der „Metaller-Kleidung“ spezifisch medialer, als es z.B. eher stilistisch umrissene Outfits der HipHop- oder Techno-Kultur sind. In diesem Sinne werden „Kutte“, Patch und Bandshirt im gleich doppelten Sinne zum Trägermedium: einerseits dienen sie als Medium des Trägers, der seine Zugehörigkeit zur Metal-Szene und seinen Musikgeschmack kommunizieren will, andererseits sind sie Träger der innerhalb der Heavy-Metal-Kultur zirkulierenden Bilder- und Schriftästhetik. Doch woher kommt dieser Hang zur Schmückung mit szenenhaften Bildern, epischen Album-Artworks und symbolträchtigen Schriftzügen? Spiegelt sich in der Kleidung der Heavy-Metal-Fans möglicherweise eine Bild- Affinität des gesamten Genres wieder? Diesen Fragen gilt es innerhalb des Vortrags nachzugehen.


Dietmar Elflein: Die virtuose Kontrolle der (Ohn-)Macht – Gedanken zur musikalischen Ästhetik des Heavy Metal

Ich möchte einige Ergebnisse meiner 2009 fertiggestellten Dissertation „Schwermetallanalysen – Untersuchungen zur musikalischen Sprache des Heavy Metal“ am Seminar für Musik und Musikpädagogik der TU Braunschweig vorstellen. Das erkenntnisleitende Interesse der Dissertation liegt in der Analyse und Beschreibung der musikalischen Sprache des Heavy Metal, unter besonderer Berücksichtigung der bisher in der Popularmusikforschung weitgehend unbeachteten Bereiche Ensemblespiel und formale Struktur. Zur theoretischen Fundierung der Auswahl der zu analysierenden Beispiele werden Konzepte der Erinnerungsforschung wie z.B. der Traditionsstrom herangezogen. Zudem werden Musikstücke nicht als Texte sondern sprachanalog als grundsätzlich miteinander im Dialog stehende Äußerungen im Sinne von Bakhtin generalisiert. Jede musikalische Äußerung greift damit mittels Modellen wie dem Erwartungshorizont auf den verfügbaren Vorrat an Wissen im Traditionsstrom zu und erweitert diesen zumindest potentiell um ein neues Kompositionsmodell. Der Vortrag soll anhand einiger ausgewählter Musikbeispiele sowohl die Entwicklungeiner musikalischen Sprache, die den unterschiedlichen Subgenres des Heavy Metal gemeinsam ist, herausarbeiten als auch auf wichtige Unterschiede hinweisen. Diese musikalische Sprache soll in einem weiteren Schritt in Bezug zu zentralen Elementen der Kulturwelt Heavy Metal gesetzt werden.So zeigt die virtuose Kontrolle des Ensemblespiels und aller Instrumental- und Vokalstimmen eine Verbindung der Heavy Metal oft zugeschriebenen Elemente der ‚power’ und eines handwerklichen Ethos. Eine Heavy Metal Band zeigt die virtuose Kontrolle zudem im parallelen Ensemblespiel und der komplexen Ausgestaltung von Breakdowns. In beiden Fällen erfährt Energie eine rhythmisch dominierte Bündelung. Der gemeinsame Wille kommt in spezifischer Form zum Ausdruck. Er reduziert das Stimmengewirr, die Anzahl der parallel möglichen unterschiedlichen Äußerungen und präsentiert sich eindeutig — quasi als Gegenpol zum sich ergänzenden Ineinandergreifen unterschiedlicher Äußerungen in anderen Stilen populärer Musik. Die Bündelung der Energie im parallelen Ensemblespiel ist neben der verzerrten Klangfarbe und Phasen extremer Impulsdichte eines der Elemente der musikalischen Sprache des Heavy Metal, die gerne mit Begriffen wie Aggressivität umschrieben
werden. Folgt man Kahn-Harris’ Analyse der Wichtigkeit von Transgression für die Heavy Metal Szene als eskapistischer Praxis der ritualisierten Grenzüberschreitung, so ist Heavy Metal auch eine Desillusionierung eingeschrieben, die die ästhetische Bearbeitung des Themas Aggression mit Schwermut, Fatalismus oder auch Zynismus koppelt. Diese Koppelung unterscheidet Heavy Metal von ebenfalls der Inszenierung von Aggressivität verpflichteten Genres wie Hard Core oder Punk.


Christian Heinisch: Zwischen Kult und Kultur – Heavy Metal und Dimensionen seiner Stabilisierung

Die hier vorgestellte Analyse der Heavy Metal-Kultur soll vier Dimensionen erfassen, die für ein kontinuierliches Bestehen der Szene sowohl einzeln als auch gerade im Zusammenspiel zentral sind.
1. Kommerzielle Dimension
Als populärkulturelles Phänomen muss sich die HM-Kultur im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Autonomie, Entfaltung und kommerzieller Verwertbarkeit positionieren. Sie ist darauf angewiesen, kommerzielle Strukturen zu nutzen, die ihre Verbreitung sichern. Dabei kann sie aber nur bedingt auf die etablierten Strukturen der Kulturindustrie zurückgreifen. Es gilt zu zeigen, welche Alternativen sie entwickelt, um trotzdem ihre Dauerhaftigkeit zu gewährleisten.
2. Subkulturelle Dimension
Hierbei sollen die politischen und subkulturellen Aspekte, die die HM-Kultur bestimmen, im Blickfeld institutionalisierender Mechanismen betrachtet werden. Die Cultural Studies haben den politischen Wert zeitgenössischer Subkulturen herausgearbeitet und zum Schwerpunkt verschiedener populärkultureller Phänomene erhoben. Gerade der Heavy Metal als Subkultur hat aber ein sehr ambivalentes Verhältnis zu bewußter Politisierung und zeichnet sich vielmehr durch eskapistische Momente aus.
3. Rituell-Religiöse Dimension
Im Kontext von Institutionalität und Kontinuität spielt im Heavy Metal die rituell-religiöse Dimension eine zentrale Rolle und soll deshalb auch den Schwerpunkt des Vortrages bilden. So finden sich nicht nur zahlreiche religiös intendierte Motive in der visuellen und verbalen Darstellung des Genres, sondern auch das zentrale Ereignis der Heavy Metal-Szene, das Livekonzert, enthält deutliche Elemente religiöser Rituale. Über die Annahme eines bloß spielerischen Experimentierens mit religiösen Zeichen hinaus scheint das Verständnis der H M-Kultur als (quasi-)religiöses Phänomen durch die Vielzahl religiöser Momente auf verschiedenen Ebenen einen lohnenswerten Ansatz zur Interpretation der Szene darzustellen, zumal, wie Hans-Georg SOEFFNER betont, Stilisierungen in ästhetischen Kontexten eng mit religiösem Ausdruck verbunden sind. In Expose und Vortrag wird jedoch hauptsächlich mit dem Begriff der institutionellen Mechanismen operiert, der – im Gegensatz zur Stilisierung – das dynamische Moment steter Neuleistungen von Symbolisierungen betont und stärker den kontinuitätsstiftenden Aspekt hervorhebt, der zumindest in der HM-Kultur das entscheidende Legitimationsmoment darzustellen scheint.
4. Historische Dimension
Ein zentraler Aspekt bei der Erforschung institutioneller Mechanismen kommt dem Begriff der Eigengeschichte zu. Institutionen bilden ein spezifisches Bild ihrer Entwicklung aus. Diese Eigengeschichte legitimiert die institutionellen Zeitbezüge. Sie klärt nicht nur die einzelnen Entwicklungs- und Transformationsphasen, sondern v.a. formt sie die Historie „im Hinblick auf die behauptete Kontinuität einer jeweiligen Ordnung“. Solcher Eigengeschichte bedarf auch die HM-Kultur in den mittlerweile 40 Jahren ihres Bestehens, einer Dauer, die gerade in den vom Zwang zur steten Veränderung geprägten populärkulturellen Bereichen der Musik zu den Ausnahmen zählt.


Franz Sz. Horváth: Protest, Provokation und Peergroup-Bildung. Heavy Metal im Ungarn der 1980er Jahre und seine Rezeption in Siebenbürgen als Ausdruck ethnischer Absonderung und Peergroup-Bildung

„Wenn du spürst, du hältst es Zuhause nicht mehr aus
Geh weg und warte nicht
Wenn du glaubst, anderswo ein besseres Leben wartet auf dich
Geh weg und bleibe nicht“
– beginnt der Song „Tovább“ („Weiter“) der ungarischen Band Pokolgép. Das Lied beschließt das Album „Totális metál“, das 1986 erschien und vielen als erstes Heavy Metal-Album des Ostblocks gilt. Die Platte war nicht nur in Ungarn ein Verkaufshit gewesen, sondern auch bei ungarischen Jugendlichen im rumänischen Siebenbürgen schnell beliebt geworden. Die Jugend der dortigen ungarischen Minderheit (ca. 1,5 Mill. Menschen) sog die Rockproduktion Ungarns stets begierig auf, denn diese füllte eine Lücke, weil im Rumänien Ceausescus kulturelle Erzeugnisse in den Minderheitensprachen weitgehend verboten waren. Siebenbürgisch-ungarische Rockmusik oder gar Heavy-Metal war undenkbar. Der Erfolg ungarischer Metalbands in der zweiten Hälfte der 1980er Jahren gründete jedoch in der politischen Botschaft wie im zitierten Lied, die eine Verneinung der sozialistischen Realität bedeutete und zur Flucht aus ihr aufforderte. In Zeiten massenhafter Auswanderung von Deutschen und Ungarn aus Rumänien, und als seit 1987 die ersten Zeichen des Systemwechsels in Ungarn auch im spezifisch siebenbürgischen Minderheitenkontext aufmerksam verfolgt wurde, bekamen die politischen Texte ungarischer Metalbands eine besondere ideologische Konnotation. Diese ideologische Komponente lässt sich auch in den Texten anderer ungarischer Bands, die von NWOBHM oder AC/DC beeinflusst waren, nachweisen [(„Goodbye Iwan“ (Aurora), „Das Meer ist aufgestanden“ (Ossian), „Es stinkt“ (Moby Dick)]. Doch jenseits der politischen Thematik eignete sich Heavy Metal in Siebenbürgen auch als Mittel ethnischer Abgrenzung, denn gegenüber rumänischen Gleichaltrigen konnte die ungarische Sprache gezielt als ein Distinktionsinstrument eingesetzt werden. Heavy Metal fiel zudem in der wertkonservativen, von den neuesten (pop-)kulturellen Strömungen des Westens abgeschotteten ethnischen Gemeinschaft als eine besonders wilde und „harte“ Musikrichtung auf. Sie eignete sich damit als Zeichen des Ausbruchs aus der Welt der Väter, als Mittel zu ihrer Provokation und zur Ablehnung ihrer Werte. Allerdings konnten auch viele Jugendliche mit Heavy Metal wenig anfangen, was teilweise zur Entstehung von gesonderten Gruppen führte, so dass die Heavy Metal-Fans eigene Zirkel bildeten. Die ideologische Untermauerung dieser Absonderung (und ihre Selbststilisierung) wurde durch ein von vielen ungarischen Metalsongs propagiertes Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl vorangetrieben, das eine spezifische „Rockermentalität“ postulierte. „Rocker“ verfügten demnach über eine eigentümliche Ethik, die sie zwar hart, einsam und direkt, doch zugleich geradlinig, freiheitsliebend und ge-recht werden lässt. Diese Einstellung unterscheidet die „Rocker“ sowohl von den „Nichtrockern“ der gleichen Generation wie auch den älteren Generationen (die zudem vom System korrumpiert sind). Der Vortrag soll anhand einer Analyse von Texten, dem Auftreten und der Bildsymbolik der wichtigsten ungarischen Heavy-Metal-Bands, deren Musikrichtung zugleich in die zeitgenössische Metalszene eingebettet wird, den skizzierten Aspekten (politischer Protest, Provokation, Peergroup-Bildung) nachgehen. Damit wird nicht nur ein wichtiger Mosaikstein ethnisch motivierter Dissidenz im Ostblock vorgestellt, sondern auch Licht auf ein wenig bekanntes kulturgeschichtliches Kapitel der Zeit geworfen.


Daniel Kernchen: Virtuosität als Überlebensstrategie & Publikumsmagnet

Der folgende Beitrag nähert sich dem Phänomen des Heavy Metal als residualer Popularmusikultur auf ästhetischer Ebene an und versucht durch Vergleich Erscheinungen aus dem 19. Jahrhundert Parallelen aufzudecken, die zu erklären versuchen, warum Heavy Metal als scheinbare Subkultur sich anhaltender Popularität erfreut. Zu fragen ist, wodurch sich Beständigkeit im Spannungsfeld der unterschiedlichsten Stilrichtungen bildet. Hierbei bildet die Virtuosität ein entscheidendes unter mehreren konstituierenden stilprägenden Merkmalen. Mit einem Blick in die Musikgeschichte, bilden die Violin‐ und Klaviervirtuosen des 19. Jahrhunderts – allen voran Nikolo Paganini und Franz Liszt um nur die berühmtesten unter ihnen zu nennen – einen ersten Anhaltspunkt für die Betrachtung von Virtuosität. Dieses Phänomen trifft hier erstmals auf eine bürgerliche Gesellschaftsstruktur und mit dem Format des Publikumkonzertes, welches es ermöglicht dem Anspruch eines breiten zahlenden Publikums gerecht zu werden. Dies unterscheidet die Virtuosen dieser Zeit hauptsächlich von früheren – beispielsweise den Virginalvirtuosen des elisabethanischen Zeitalters in England. Dabei lassen sich durchaus Parallelen erkennen, welche auf grundlegende sozioanthropologische Kategorien schließen lassen. Den Reiz des Dämonischen hat PASCAL FOURNIER in seiner soziologischen Untersuchung Der Teufelsvirtuose eingehend beschrieben. Dieser hat einen erheblichen Einfluss auf die Heavy Metalmusik, da sie mit genau diesem Idiom spielt und Gegenstand eines beständigen Diskurses ist. Doch lassen sich eine Anzahl weiterer Funktionen von Virtuosität festmachen. Dies sind beispielsweise Virtuosität als pure Lust am Spiel, Virtuosität als Ergebnis psychomotorischer Optimierungsprozesse, Virtuosität im Zuge musikalischer Inselbegabung, Virtuosität als Ziel kompositorischer Arbeit und Ausdruck des kompositorischen Willens, Virtuosität, die aus der Überwindung der bis zu einem gewissen Zeitpunkt geltenden instrumentalen Grenzen ergibt, Virtuosität als Ausdruck individueller Ausdrucksfähigkeit, Virtuosität als Attraktionselement und Publikumsmagnet sowie Virtuosität als Kritik ihrer selbst. Dieser Aufzählung lässt sich entnehmen, dass Virtuosität sich aus einer Vielzahl von Konstituentenrekrutiert die sich in einem Spannungsfeld ökonomischen, soziologischen und ästhetischen Ursprungs befinden. Meine These lautet von daher, dass unter anderem diese multiplen Verortungen erheblich dazu beitragen, dass Heavy Metal Musik und Progressive Rock sich auf der einen Seite gegen eine erhebliche Kommerzialisierung sperren auf der anderen Seite hingegen als (kaum noch) Subkultur sich einer konstanten und vor allem generationenübergreifenden Fankultur erfreuen. Wie KONRAD KÜSTER in seiner Abhandlung über das Konzert historisch belegt, sollte hierbei ein Kompromiss zwischen „Brillieren und Charmieren“ gehalten werden. Übertragen in die Formate einer Popularkultur zeigt sich die Notwendigkeit diese technische Virtuosität im Vergleich zu den Virtuosenkonzerten vergangener Zeiten gleichsam zu Aphorismen geschrumpft auf die Soliparte eines Songs zu beschränken. Dass diese durchaus Ausmaße annehmen, die vermuten lassen, dass die übrige Songstruktur lediglich noch zur Legitimation des virtuos Dargebotenen dienen, sei hier nur am Rande erwähnt. Denn es ist beobachtbar, dass die jeweils extremen Spielformen in ihrer Ausschließlichkeit schnell an Reiz und somit an Attraktion bei einem breiteren Publikum verlieren. Hier rücken schnell auch die Formen der Balladen in den Blickpunkt und das Phänomen, dass gerade Bands die für ihre „härtere Gangart“ bekannt sind, durch ihre Balladen und der geschickten Vermischung von Schmeichelndem und Hartem – Klagenden und Revoltierendem bekannt wurden. Gerade in dieser psychologischen Strategie der Virtuosität findet ein intensiver Dialog zwischen Musiker und Publikum statt, der jeweils neu verhandelt, das Anschlusskommunikation ermöglicht und das eigentliche Attraktionselement des ursprünglichen Heavy Metal darstellt.


Marcus S. Kleiner / Mario Anastasiadis: Politik der Härte! Bausteine einer Popkulturgeschichte des politischen Heavy Metal

»In the fields the bodies burning, »I’d rahter died than to live in this fucked world |
as the war machine keeps turning. Mr. President I’m not here to do your dirty work |
Death and hatred to mankind, Alone, I think I’m fighting a losing battle |
poisoning their brainwashed minds...! Worth dying not for oil |
Politicians hide themselves away NO WAR Amerika the brutal«
They only started the war (Six Feet Under – amerika the brutal, auf: Bringer of Blood, 2003)
Why should they go oto fight?
They leave that role to the poor«
(Black Sabbath – war pigs, auf: Paranoid, 1970)

Heavy Metal, als Teil der Pop-Kulturgeschichte seit den 1970er Jahren, hat sich, entgegen vieler gegenteiliger Zuschrei-bungen, immer auch als politische Subkultur inszeniert. Für uns stellt die Gründung von Black Sabbath (1968 als Earth, 1969 als Black Sabbath) die Geburtsstunde des Heavy Metal dar. Auf ihrem zweiten Album „Paranoid“ (1970) findet sich mit dem Song „War Pigs“ der erste für unser Thema zentrale Referenzpunkt, in dem die für die Heavy Metal-Kulturen der folgenden Jahrzehnte wegweisende Verbindung von Politik und ästhetischer Kommunikation zum Thema gemacht wird. Von dieser historischen Urszeneausgehend, werden wir eine Popkulturgeschichte des politischen Metal nachzeichnen und zeigen, dass Metal sich nie nur auf mythische oder phantastische Bilderwelten bezogen oder in testostheron gesteuerten Männerphantasien erschöpft hat, sondern stets in einem intensiven Dialog mit gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Wandlungsprozessen stand und nach wie vor steht. Dies gilt für alle von uns fokussierten Spielarten des Heavy Metal, wie v.a. Thrash Metal, Death Metal, Grindcore, Metalcore, Crossover.
Unser Auseinandersetzung mit politischem Heavy Metal lässt folgende erste Kategorisierungen zu:
• Systemkritik (u.a. Sacred Reich; Brutal Truth; Pro-Pain)
• Konsumkritik/Antikommerzialismus (u.a. Napalm Death; Rumble Militia; Metal Church)
• Anti-Kriegshaltung (u.a.Metallica; Megadeth; Sodom; Six Feet Under)
• Anti-Rassismus (u.a.Anthrax; Bad Brains;Sepultura)
• Umwelt/Atomare Bedrohung (u.a.Nuclear Assault; D.R.I.; Tankard; Evildead; Wolves in the Throne Room)
Im Mittelpunkt unserer Analyse steht ein close reading ausgewählter Stil prägender und internationaler Beispiele.Durch die Einbindung in den Diskurszusammenhang von Pop und Politik wollen wir Bausteine für eine (neue) Kulturge-schichtsschreibung des Heavy Metal liefern – nicht zuletzt die politisierende Kraft des Heavy Metal veranschaulichen.


Tomislava Kosic: Heavy Metal als kulturelles System nach der „Dichten Beschreibung“ von Clifford Geertz.

Die Definition, welche Geertz in seiner „Dichten Beschreibung“ formuliert hat, um die Religion als kulturelles System zu beschreiben, lautet wie folgt: „Ohne weitere Umschweife also, eine Religion ist: 1) Ein Symbolsystem, das darauf zielt, 2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, 3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und 4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, dass 5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen.“ (Geertz 1987, 48). Geertz’ Methode, welche ein Bedeutungssystem und dessen Materialisierung in Symbolen zunächst beschreibt, um diese Systeme dann in Beziehung zu soziokulturellen und psychologischen Prozessen zu setzen (Geertz 1987, 94), ist ideal für eine Untersuchung der
Heavy Metal-Kultur, da letztere ebenfalls über ein Symbolsystem verfügt. Welche Symbole werden in der Heavy Metal-Kultur verwendet? Welche Identifikationsangebote existieren in der Heavy Metal-Kultur, damit diese als Kultursystem, das Zugehörigkeitsgefühle weckt, bestehen kann? Als eines der wichtigsten Symbole der Heavy Metal-Kultur sei an dieser Stelle die Geste der sogenannten „Metal-“ oder „Devil Horns“ erwähnt: Die Handzeichen fanden im Laufe der 1980er Jahre Einzug in die Heavy Metal-Kultur und dienen derselben seitdem als Identifikationsgesten. Wer die Verwendung der „Metal Horns“-Geste in der Metal-Kultur populär machte und welche Version korrekt sein soll, ist umstritten. Nichtsdestotrotz ist die Metal-Szene sehr protektiv, wenn ihre Identifikationssymbole anderweitig verwendet werden. Dies zeigt die Aktion, welche von Metal-Sänger Dee Snider im Sommer 2009 ins Leben gerufen wurde: auf der Internetseite www.takebackthehorns.com wird die Metal-Community dazu aufgerufen, sich gegen den „Missbrauch“ der Metal-Horns durch „Unberechtigte“ zu wehren. Dadurch werden die sowohl inkusionistischen, als auch exklusionistischen Tendenzen der Heavy Metal-Kultur sichtbar. Zudem hat die Musikindustrie auf den offensichtlich existierenden Bedarf der Fans, sich als Angehörige der Heavy Metal-Kultur zu kennzeichnen und abzugrenzen, mit einem immer vielfältigeren Merchandise-Angebot reagiert. Unter anderem anhand des Beispiels der „Metal-Horns“ soll untersucht werden, wie die Symbolik, welche im Heavy Metal verwendet wird, die Teilnehmenden repräsentiert, und welche Ästhetik und allenfalls Moral durch dieses Symbolsystem vertreten und vermittelt wird. Eine dichte Beschreibung der Quellen soll die Metal-Kultur als Bedeutungssystem erfassen. Die Verfasserin kann die vorhandenen, publizierten Quellen mit eigenen Konzerterfahrungen, welche z.T. mit Fotos und Videoaufnahmen dokumentiert wurden, ergänzen.


Florian Krautkrämer/ Jörg Petri: Horror-Typo-Metal

Von Anfang an zählen Horror-Elemente zur visuellen Kultur des Metal. Im Horrorfilm jedoch hat Metal erst in den letzten Jahren Einzug auf der Tonspur und dem Soundtrack gehalten. Interessant ist dabei weniger, dass die Entwicklung des Horrorsoundtracks vom Dissonanten über Synthesizer hin zum Metal geht, und dieser damit in die musikalische Avantgarde einreiht wird, sondern dass die meisten Horrorfilme, die Metal nutzen, Remakes sind, ihre Vorgänger aber eben noch ganz andere Scores nutzten. So weisen Freddy vs. Jason und die Remakes von Texas Chainsaw Massacre, Dawn of the Dead, The Hills have eyes, Halloween und House of Wax Metal-Scores auf, nicht aber Scream und Blair Witch Project, zwei der wohl erfolgreichsten Horrorfilme der letzten Jahre. Das heisst, dass es bei den Remakes auch um eine Neukontextualisierung geht, aber auch, da es sich meist nicht um A-Produktionen handelt, um eine gezielte Verbindung von Nischenprodukten zur Aufmerksamkeitsmaximierung, um so genannte tie-ins. Im Bereich des Graphic Design des Metal, insb. auf Platten- (später CD-) Covern gibt es eine interessante Parallelentwicklung zu beobachten. Die in den 70er und 80er Jahren meist gemalten, illustrierten oder später in Airbrush-Technik erstellten Covermotive vereinen Bildsprachen aus Fantasy, Horror und Okkultismus. Die Ebene der Schrift bleibt dabei von den in der Bildsprache thematisierten Motiven völlig unangetastet. Dreidimensional wirkenden Schriftzüge verweisen auf die musikalische Stilelemente, auf Metal als Genre wie auch als Material (z. B.: Motorhead, Metallica, Iron Maiden, aus dem deutschen Raum Blind Guardian, Accept oder Warlock). Die visuelle Kommunikation verläuft zweistufig: Während die Bildebene auf (text-) inhaltliche Elemente verweist, verbildlicht die typografische Gestaltung das Genre ganz allgemein. Eine Integration der typografischen Elemente in die Bildsprache und eine visuell einheitliche Gestaltung findet erst mit zunehmendem kommerziellem Erfolg des Genres statt, parallel zum Bedeutungszuwachs der Tonträgerindustrie. Umfassender angelegte Marketingstrategien wirken auch auf die Gestaltung der Plattencover zurück. Erst die breite stilistische wie inhaltliche Ausdifferenzierung in den 1990er Jahren führte, zusätzlich zur technologischen Entwicklung, zu einem Angriff auf das typografische Material. Jetzt wird auch die Schrift Opfer der im Bild schon lange präsenten Themen von Verwesung, Abseitigkeit und Zersetzung: die Bandlogos werden rostig, zerkratzt, manisch in den Untergrund eingeritzt (z. B.: NIN, Pantera, Slipknot, Korn, System of a down, Rise against). Hier ist das Verbindungsstück zwischen Horrofilm und Metal zu verorten. Während Metal zur identitätsstiftenden Musik des Horrorfilms avanciert, wird gleichzeitig auch das Zeichenrepertoire über das rein Bildliche erweitert. Das wiederum schlägt sich auch im Film nieder, indem bspw. Vor- und Abspanne die zerstörte und angegriffene Schrift wieder aufnehmen, bspw. im Vorspann zu Se7en oder im Abspann zu Dawn of the Dead (beide von Kyle Cooper), der filmisch, musikalisch und typografisch verbindet, was zusammengehört: Metal und Horrorfilm.


Christian Krumm / Holger Schmenk: „Auf einmal ist es explodiert“ – Die Entstehung der Heavy-Metal-Szene im Ruhrgebiet der 1980er // „Wir sind immer noch Fans“: Der Heavy Metal und seine Infrastruktur unter besonderer Berücksichtigung des Ruhrgebiets

Lange bevor das Ruhrgebiet, unter anderem durch die Auszeichnung zur Kulturhauptstadt 2010, sein kulturelles Selbst-bewusstsein entdeckte, hatte sich in der Region aus ein paar Dutzend begeisterter Metalfans eine Szene entwickelt, die Vergleiche mit der legendären Bay-Area in den USA nicht zu scheuen braucht und damit schon in den 1980er Jahren eine selbstbewusste Subkultur entstehen ließ. Bands wie z.B. Kreator oder Rage, die alle rund um die heutigen Industriedenkmäler gegründet worden sind, erfreuen sich seit nunmehr fast drei Jahrzehnten internationaler Anerkennung. Eines der größten Fanzines, das Rock Hard, ist ebenso im Ruhgebiet beheimatet, wie die Plattenfirma Century Media oder der Produzent Waldemar Sorychta. Auf den ersten Blick erscheint der Heavy Metal wie geschaffen als kulturelle Ausdrucksform in einer von der Krise der Montan- und Schwerindustrie geschüttelten Region. Doch wie genau ist eine solch einflussreiche Szene entstanden? Welche Faktoren begünstigten ihre Entwicklung? Als Erklärungsansatz für diese Fragen dienen zum einen die bereits Ende der 70er Jahre begonnene Umfunktionierung alter Zechengebäude zu Kulturzentren wie die Zeche Carl in
Essen oder die Zeche Bochum. Hier bildeten sich schon früh Zentren der Metal- und Punkszene und sorgten für die notwendige Kommunikation. Ebenso wurden darin Proberäume und Diskotheken eingerichtet, in denen junge Musiker zusammentrafen. Zum anderen gibt es mit der Dortmunder Westfalenhalle und der Essener Grugahalle Konzertstätten, in denen man die damaligen Größen des Hardrock und der New Wave of British Heavy Metal schon damals live erleben konnte. Die infrastrukturellen Voraussetzungen für Inspiration und deren Ausdruck ist insofern im Ruhrgebiet als günstig zu bezeichnen. Schwieriger gestaltet sich die Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Musikstil und den sozialen Umständen der Jugendlichen im Ruhrgebiet. Perspektivlosigkeit und sozialer Notstand waren in den 1980ern ein Markenzeichen der Region. War der Metal tatsächlich ein Ausdruck dieser Zustände? Lässt sich ein soziokultureller Zusammenhang zwischen der Musik und dem Milieu konstatieren? Innerhalb des Vortrags soll diese Thematik besonders an Hand von umfangreichen Interviews mit den Beteiligten der Szene in Verbindung mit einer soziokulturellen Bestandsaufnahme des Ruhrgebiets in den Achtzigerjahren behandelt werden.
Wohl kaum eine Szene zeigt eine so enge Verzahnung zwischen Fankultur und „Infrastruktur“ wie der Heavy Metal. Sowohl das führende Medium „Rock Hard“ als auch zahlreiche Internetmagazine, Tonstudios, Plattenlabels, Booking-Agenturen, Festivals und sonstige Unternehmen, die sich unter dem Oberbegriff der „Infrastruktur“ erfassen lassen, wurden durch Personen gegründet, die aus ihrem Fandasein heraus den Wunsch verspürten, die Musik und ihre Kultur bewusst mitzugestalten. Viele von Ihnen verdienen inzwischen ihren Lebensunterhalt damit, haben sich also von passiven Rezipienten der Musik zu professionellen Akteuren
gewandelt. Innerhalb des Vortrags soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich Heavy Metal seit den 1990er Jahren als Teil der massenkompatiblen Popkultur, ja als (womöglich bedeutender) Teil der Medienindustrie einordnen lässt, oder ob es sich nach wie vor um eine Subkultur handelt, die – auch durch ihre Medien – klar abgrenzbar ist? Ein Abriss der Geschichte der Musikszene soll mitberücksichtigt werden, um die gegenwärtigen Entwicklungen besser einordnen zu können. Das Ruhrgebiet bietet sich als Exempel besonders an, da in der Region und um sie herum bis heute höchst erfolgreiche Bands und Firmen entstanden sind, die
mit ihrer Musik zur Prägung der Metalszene beigetragen haben. Der Vortrag stützt sich auf zahlreiche Interviews mit Produzenten, Label-Besitzern und Journalisten sowie auf eigene Beobachtungen, um die Selbst- und Fremdwahrnehmung des Heavy Metal und seiner Medien möglichst umfassend zu analysieren.


Jan Leichsenring : »Wir fordern das Unmögliche.« Zur Formulierung und Funktion antimoderner Topoi in Metal-Subgenres.

Schon der Metal der 80er Jahre enthielt Tendenzen hin zu Thematiken des Mythischen, Irrationalen, Unvordenklichen, die sich u.a. aus Fantasy und Okkultismus speisten. Häufig kaum mehr als ein Konglomerat von Schlagworten und populären Ikonographien, zeigte sich darin ein Unbehagen an der komplexen und entzauberten Welt der Moderne, das spätestens mit der affirmativen, nicht mehr ironisch gebrochenen Bezugnahme auf Satanismus oder Heidentum seit Ende der 80er Jahre in einen antimodernen Impuls mündete. Verstärkt, in neuer Qualität und mit neuen Bezugspunkten treten antimoderne Vorstellungen seit Anfang/Mitte der 90er Jahre in einigen Metal-Subgenres auf. Die spätromantischen Zeichnungen Theodor Kittelsens dienen als Titelbilder von Black-Metal-Platten, Texte handeln von nach Christenblut dürstenden norwegischen Trollen, extremer Metal wird mit Elementen folkloristischer Musik verbunden. »In der modernen, liberalen, demokratischen, kapitalistischen Gesellschaft fordert Black Metal die Rückkehr zu einem vormodernen Zustand«, formuliert ein Musiker der Band Wolves in the Throne Room seine Sichtweise auf die ideellen Hintergründe dieses Stils und fügt hinzu: »Unsere Musik bietet keinen Raum für ›Kompromisse‹ und Rationalität. Wir fordern das Unmögliche.« Nicht zuletzt war es der damit verbundene Gestus des Eigenen und Eigentlichen, der zum Anschlusspunkt für nationalistische, völkische und offen faschistische Motive in Teilen des Metal-Universums wurde. Analog zur Abgrenzung des Metals zur Massenkultur vollziehen sich Absetzungsbewegungen einiger Metal-Genres gegenüber dem Metal-Mainstream, der als flach, anspruchslos und längst in der Massenkultur angekommen betrachtet wird. Gegen den so wahrgenommenen Metal-Mainstream wird die weithin ironiefreie Orientierung an Mythen, Geschichte und der Ästhetik des Ruralen gesetzt. Umgekehrt wurde diese inhaltliche und musikalische Ausrichtung unter Kürzung »spiritueller« Ansprüche schnell in eher massenkompatible und kommerziell erfolgreiche Formen verwandelt. – Der Text wird sich mit der Konstruktion und Funktion antimoderner Topoi in ihren verschiedenen Schattierungen auseinandersetzen, wie sie in Wort und Bild, in Musik und Auftreten von Metalbands begegnen. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf Strömungen des Black-, Pagan- und Dark Metal, in denen diese Thematik am stärksten ausgeprägt ist. Sie sollen auf Anliegen, Strategien und Funktionsweisen ihrer Bedeutungsproduktion hin befragt und in ihrer Genese dargestellt werden.


Mathias Mertens: Luftgitarrespielen. Die Geburt der Musik aus dem Geist der Resonanz.

Die Luftgitarre ist eine Vorzugsmetapher für kulturkritische Analysen. Der Dämon des Uneigentlichen kann kaum sinnfälliger verkörpert sein als in der Person, die Gitarrengriffe macht, ohne je einen Ton zu erzeugen. So verstanden ist die Metapher allerdings aus der Luft gegriffen (vom dazugehörigen Argument ganz zu schweigen), denn die Luftgitarre ist weder auf nichts bezogen, noch stellt sie nichts dar, noch steht sie für sich allein. Der Kulturkritiker sieht nur die Oberfläche des Ergebnisses und ignoriert vollständig die Umstände, aus denen diese ästhetische Praxis hervorgegangen ist. Die Luftgitarre ist als Reaktion auf kollektiv erfahrbare Musik entstanden, sie ist Ausdruck von Teilhabe an der Rockkultur und sie funktioniert nur als Feedback in einem Regelkreis von ästhetischer Produktion und Rezeption als ein „vervielfältigtes menschliches Echo des Gitarristen auf der Bühne“, wie es Roel Bentz van den Berg emphatisch formuliert hat, als ein Widerhallen eines Liedes „zwischen den Außenmauern der Welt und den Innenmauern der eigenen Seele, […] so lange, bis das Echo, das sich mit all dem füllt, wogegen es unterwegs stößt, wie in einem Spiegel aus Schall ein menschliches Antlitz genommen hat, das einem bekannt vorkommt.“ Nur weil man gesehen hat, wie andere Luftgitarre spielen, spielt man sie auch selbst, wodurch die anderen sehen, dass Luftgitarre gespielt wird und sich bestätigt fühlen. Wenn die Luftgitarre überhaupt als Metapher dienen kann, dann nur für populäre Musik. Denn die hat so schon immer funktioniert: als sich selbst bestätigende und dadurch hervorbringende ästhetische Praxis, die von einem Kollektiv von Individuen betrieben wird. Die Resonanz funktioniert allerdings auch in die umgekehrte Richtung. Auch Gitarristen auf der Bühne sehen, dass Luftgitarre gespielt wird, mithin also, dass sie beim Gitarrenspielen betrachtet werden; und so richtet sich der Blick des Musikers auf seine eigene Performance, die er reflektiert und justiert, um sie wieder zu überprüfen. Parameter für diese Justierung sind nicht per se musikalische, sondern somatische: die Synchronisation des eigenen Körpers mit dem Körper der Musik durch die Anpassung beider an den Körper des Instruments. Viele Gitarristen begannen somit seit der Herausbildung von Massenkonzerten in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhundert sowohl Gitarre wie auch Luftgitarre zu spielen, also neben dem Musik Machen auch das Musikmachen darzustellen. Nur weil es sich um eigenständige Teile des Bühnengeschehens handelt, konnte die Darstellung des Musikmachens übernommen und in Luftgitarrenperformances auf der Bühne von Wettbewerben umgemodelt werden, ohne dass es seine kulturelle Bedeutung verliert und zu einem unverständlichen und solipsistischen Tanz wird.


Sascha Pöhlmann: Green is the New Black (Metal):Wolves in the Throne Room, Walt Whitman und Environmental Criticism

Mein Vortrag setzt sich zum Ziel, das Schaffen der US-amerikanischen Band Wolves in the Throne Room aus dem Blickwinkel der amerikanischen Literaturwissenschaft zu analysieren und in verschiedene Kontexte vernetzt einzubetten. Ich argumentiere einerseits mit Bezug auf Theorien des environmental criticism, dass WITTR – die bekanntermaßen eine öko-anarchistische Ideologie vertreten, die nicht selten als „tree-hugging“ verlacht wird – in der Tradition des amerikanischen Transzendentalismus im 19. Jahrhundert stehen und ihre Texte aufschlußreiche Parallelen insbesondere zur Lyrik Walt Whitmans sowie zu Ralph Waldo Emersons „Nature“ und Henry David Thoreaus Waldenaufweisen.Andererseits stelle ich fest, dass WITTR vor diesemHintergrund eine Neudefinition des Black Metal herausfordern, indem sie dessen vorhandene Symbolik mit neuer Bedeutung versehen(insbesondere in Bezug auf Naturbilder).Sowohl der Rückbezug auf eine amerikanische Tradition mit stark globalen Tendenzen als auch musikalische Grenzgänge (insbesondere auf Two Hunters(2007), die auf Black Cascade (2009) wieder eingeschränkt wurden) tragen dazu bei, dass WITTR Black Metal neu ideologisieren bzw. Black Metal aus Sackgassen der Ideologisierung zu befreien. Mein Vortrag stellt WITTR als produktive Schnittstelle vielfältiger transnationaler Strömungen dar und will so auch einen Blick auf die mögliche Politisierung des (Black) Metal eröffnen, die sich nicht in allzu bekannten Tendenzen erschöpft (beispielsweise propagieren WITTR eine Form des Individualismus, der kaum in der satanistischen Tradition LaVey’scher Prägung zu verstehen ist, und ihr Black Metal operiert generell jenseits von arroganten Bildern von Elitismus und Militarismus). Um dies zu zeigen, soll meine Vorgehensweise nicht nur theoretische Einordnungen in Bezug auf den Transzendentalismus, ecocriticism und Black Metal beinhalten, sondern auch eine konkrete Textanalyse von „Vastness and Sorrow“, „Cleansing“ und „I Will Lay Down My Bones Among the Rocks and Roots“.


Birgit Richard / Jan Grünwald: Verführer und Zerstörer – mediale Bilder archaischer Männlichkeit im Black Metal

Der Begriff der archaischen Männlichkeit beschreibt eine bestimmte Form der Inszenierung von Männlichkeit, wie sie beispielsweise in der Ästhetik des Heavy Metal zu finden ist. Wir werden den Fragen nachgehen, wie sich archaische Männlichkeiten präsentieren und verbildlichen, inwieweit die Medienstruktur verschiedener Bildkommunikations-Plattformen solchen Darstellungen zuträglich ist und welcher Strategien man sich bedient, um dem Anspruch gerecht zu werden, das vermeintlich absolut Böse zu verkörpern. Dieses geschieht am Beispiel des Musikgenres Black Metal. Hier steht die „Pose“ dem „True“ gegenüber, die Beherrschung der künstlichen Gesten gibt höchste Glaubwürdigkeit. Das kann z.B. an einem einminütigen Video zeigen, das den ehemaligen Sänger der Band Gorgoroth, - den „grossen Gaahl“, wie er ehrfurchtsvoll in der Subkultur genannt wird-, als eine Figur ins Bild setzt, die mehrere Faszinosa der Szene bedient: die Orientierung am Satanismus und die Verkörperung des Bösen („the most evil man of black metal“) durch die aktive Ausführung von Verbrechen, die aktenkundig ist (schwere bewusste Körperverletzung). Der popkulturelle Abweichungszwang führt dazu, dass es immer schwerer wird, sich abweichend/subversiv zu inszenieren: Die rebellische Geste wird in der medialen Repräsentation also gleich mitgedacht. Genau an diesem Punkt setzen Strategien von archaischer Männlichkeit an, die gerade diese Direktheit des Widerstandes zu re-etablieren versucht. Die Visualisierung archaischer Männlichkeit durch den Black Metal kontrastiert den zeitgenössischen Umgang mit Stilen, Subversivität und deren Widerstandspotenzial. Den Mikroabgrenzungen, der Suche nach Nischen und der Fluidität zeitgenössischer, popkultureller Phänomene und Diskurse wird hier eine Form direkter/eindeutiger Opposition entgegengestellt, die ebenso unzeitgemäß anmutet, wie archaische Männlichkeit selbst. Bei dieser Maskerade, zu unterscheiden von einer Kostümierung, geht es nicht um Imitation. Sie zeigt eine mimetische Eigenleistung in den Gesten und eine stimmige Inszenierung der Figur im Raum, die das Stilbild immer wieder neu interpretiert. Wir werden versuchen Stil, Abseitigkeit und Subversivität, anhand des Stils des Black Metal und dessen Darstellungsmodus einer archaischen Männlichkeit zu beschreiben. Eine Typologie von Männlichkeiten im Metal innerhalb der Fankulturen von Black Metal, die Ästhetik und Posen von Männlichkeiten deutlich machen, soll auf der Grundlage der Auswertung von Online-Videos und Fotos im Web 2.0, genauer auf flickr und YouTube und deviant art, präsentiert werden.


Andreas Salmhofer: Grindcore – eine „extreme“ Mutation des Heavy Metal?

Grindcore ist heute ein rhetorisches Sinnbild und zur Metapher für sprichwörtlich „brutale Musik“ innerhalb des Heavy Metals geworden, obwohl die Verwurzelungen fernab von Leitlinien des Heavy Metals liegen. Sobald in Heavy Metal Diskursen das Wort „Grind“, „Grindcore“ oder lediglich die Endsilbe „-grind“ vorkommt, ist für Heavy Metal Fans klar, dass hier von extremen musikalischen Auswüchsen die Rede ist. Zugleich verkörpert Grindcore aber in musikalischer wie auch in ästhetischer Hinsicht einen Schnittpunkt „multisubkulturellen“ Beisammenseins und Stilaustausches mehrerer spezifischer Subgenres, die sich entweder innerhalb des Heavy Metals (Death Metal, Thrash Metal) oder unabhängig davon etabliert (Crustpunk, Hardcore-Punk) haben. Sichtbar wird das Ganze dann auf Grindcore-Festivals (Obscene Extreme Festival in Tschechien etc.) oder auf Grindcore-Konzerten wenn vegane „Straight-Edge“-Hardcore-Anhänger, neben Death-Metal Fans zusammen mit Punks um die Wette headbangen oder moshen. Grindcore hat anscheinend dort den politischen Moment, wo einzelne Stile, autark gesehen, wieder doktrinär gegenüberstehen, während sich die tatsächlich manifestierbare politische Komponente in ästhetischer, lyrischer und präsentationstechnischer Sichtweise sich jedoch in diffus symbolischer Weise offenbart, jedoch tendenziell aber wie es die historischen Verwurzelungen es bereits erahnen lassen, in das sozialkritische (Kritik der Moderne/Postmoderne) und linke Spektrum. Provokation durch Dokumentation, also die lyrische/ästhetische Präsentation von durchexerzierten gesellschaftlichen, moralischen und politischen Modellen der Moderne/Postmoderne stellt das wichtigste Sujet des Grindcore dar. Diese Form der visuellen/lyrischen Agitation ist dem Grindcore stärker anhaftend, als dies je im Heavy Metal der Fall war. Grindcore bleibt, abgesehen von der musiktheoretischen Randstellung innerhalb des Heavy Metals, auch für viele „Metalheads“ eine anscheinend zu chaotische („Chaos“/„Unmusikalität“ wird oft als Begründung zur Antipathie angeführt) Musikrichtung, die sich gerade wegen ihrer Grundbestandteile, der vielfach exerzierten und brachialen musikalischen Unberechenbarkeit, nur sehr schwer Zustimmung findet. Harmonien, Melodien, alles was zum Element jedweden musikalischen Schaffens, was auch für Heavy Metal gilt, ist im Grindcore sekundär. Was zählt ist vor allem der Drang zum Ausreizen musikalischer Extreme sowie in den meisten Fällen eine hohe Geschwindigkeit, gepaart mit musikalischen Taktlinien, die wenig oder nur rudimentär im Heavy Metal vorhanden sind. Der Begriff Grindcore, in gewissen Fällen auch der Terminus „Goregrind“ (Kontextualisierung lediglich hinsichtlich spezieller Gore-Sujets), ist ein fixer Bestandteil des Diskurses innerhalb des Heavy Metals geworden, doch die mehr oder weniger direkt oder indirekt von rindcore beeinflussten Sub- oder Parallelgenres (Crustcore, Fastcore, Noisecore, Powerviolence etc), die sich fernab davon befinden, zeichnen doch ein deutliches Bild davon, dass er sich nur begrenzt im Heavy Metal einordnen lässt und wenn, dann bestenfalls nur als „extreme“ Mutation am Rande des Spektrums.


Jörg Scheller: Vom Schrei zur Schreischule. Oder: Mit der Moderne gegen die Moderne- Heavy Metal als Paradessenz

Heavy Metal (HM) als (sub)kulturelles Phänomen charakterisiert ein grundlegendes Paradox. Einerseits gibt sich ein Großteil der HM-Bands dezidiert kultur-, technik- und zivilisationskritisch. Von Iron Maidens „Run to the hills“ (NWOBHM, 1982) über Sepulturas „Roots“ (Tribal-Metal, 1996) bis hin zu Kreators „Slave Machinery (Trash-Metal, 2001) lassen sich vielfältige Stränge der Kulturkritik aufzeigen. So knüpft die Power-Metal-Band Rage gleichsam an Rousseau an, wenn es heißt: „And then – slowly but surely – / Explorers and inventors stepped into / The system they didn't understand / That's when the trouble began“ („Firestorm“, 1993). Oftmals also inszenieren sich Metal-Musiker als Erben des ‚Edlen Wilden‛ und prangern den – vermeintlichen – Verlust von Ursprünglichkeit, emotionaler Intensität und Freiheit in der westlichen Moderne an. Andererseits zeichnet sich HM, im Gegensatz zum ungleich impulsiveren, eruptiveren Punk, gerade durch hohe technische Professionalität, Kontrolliertheit und Diszipliniertheit aus: Ohne Elektrizität keine E-Gitarre, ohne diszipliniertes Üben kein Tapping-Solo, ohne Boxentürme kein „If It's Too Loud, You're Too Old“. Während im Punk die sprichwörtlichen „Three Chords“ genügen, erlernen Metal-Musiker ihre Instrumente zumeist intensiv über längere Zeiträume und entwickeln ein starkes handwerkliches Ethos. In einem der Zentralorgane des HM, dem Rock-Hard-Magazin, dreht sich ein Großteil der Texte um (produktions)technische und handwerkliche Aspekte. Insofern ist, anders als in Teilen der Weltmusik oder in der historischen Aufführungspraxis von Barockensembles, das Prinzip „Back to the Roots“ primär auf einer rhetorisch-symbolischen Ebene angesiedelt.
Aktuell lässt sich eine fortschreitende Professionalisierung und Disziplinierung von HM beobachten, welche dessen konstitutive Paradoxien verstärkt. In New York etwa betreibt die Stimmlehrerin Melissa Cross eine Schreischule (vgl. Cross' DVDs The Zen of Screaming 1 & 2), wo sich HM-Sänger im Shouten oder Growlen ausbilden lassen. Das Zeitalter der umfassenden Professionalisierung, des Coachings und Consultings macht auch vor HM nicht halt. In meinem Vortrag möchte ich ausgehend vom Beispiel der Schreischule und weiteren Fallstudien zur Professionalisierung des HM (u.a. der Organisationsstruktur des straff geführten schwäbischen Metal-Labels Nuclear Blast) aufzeigen, dass sich HM nur als „Paradessenz“ erschließen lässt. In der Marketing- Terminologie wird darunter ein Produkt verstanden, das widersprüchliche Eigenschaften harmonisiert, etwa Kaffee, der beleben und beruhigen soll – im gleichen Sinne erlaubt HM eine Kritik der Moderne mit den Mitteln der Moderne; einen Emotionalisierungs- und Romantisierungsschub ohne revolutionäre Agenda; die Gleichzeitigkeit emphatischer Entfremdungskritik und Affirmation der (post)industriellen Massen- und Konsumkultur. HM bedeutet zuallererst eine Zivilisierung und eine Sublimierung des Zivilisationsfrusts.


Sascha Seiler: Ästhetische Codierungen als Marketing-Instrument und ihre Brüche: Die Band Kiss und das Ende der 70er Jahre

Dass die amerikanische Hardrockband Kiss die wohl ikonografischste Gruppe in der Geschichte der Rockmusik ist, steht außer Zweifel. Allein durch ihr bewusst unauthentisches und von Anfang an marketingorientiertes Maskenspiel schaffte es Kiss, auch ohne überdurchschnittliche musikalische Originalität oder Begabung zu den größten Attraktionen des Rockgeschäfts zu werden. Das ästhetische Prinzip der Maskerade, die Anonymität der Menschen hinter den Büh-nenpersonae, die gezielten Schock-Offensiven hatten in den 70er Jahren eine unglaublich intensive Verehrung der Musiker zur Folge. Interessant wird es allerdings, wenn man nach Brüchen im ästhetischen Konzept sucht, seien sie historischer oder ästhetischer Natur. Brüche, so kann man auch im Kontext der Popgeschichte festhalten, nähren den „Mülleimer der Geschichte“ (Greil Marcus), da siekulturelle Momente produzieren, die nicht mit der allgemein rezipierten ästhetischen Codierung übereinstimmen. Im Falle von Kiss sind in den späten 70er Jahre gleich drei solcher Brüche zu beobachten, deren nähere Analyse nicht nur im Bezug auf die Geschichte der Band selbst, sondern vor allem auch auf die Ästhetik der Popgeschichtsschreibung (und ihren „verborgenen, verschwundenen“ Momenten) sehr aufschlussreich ist. Hierbei handelt es sich erstens um die vier Soloalben aus dem Jahr 1978, den Film „Kiss: Attack of the Phantoms“ aka „Kiss meets the Phantom of the Park“) und drittens um das 1981 erschienene Konzeptalbum „Music From The Elder“. Im Vortrag soll untersucht werden, warum es sich hier um ästhetische Brüche handelt und warum gerade diese die Wahrnehmung und Bedeutung der Band als pophistorisches Moment bedingen.


Manuel Trummer: Götze, Narr, Schreckgestalt. Der Teufel und das Teuflische in der Metal-Szene.

Die Figur des Teufels zählt zu den ältesten und beständigsten Konstanten in der über 40-jährigen Geschichte des Heavy Metal und seiner Vorläufergenres. Entgegen andauernder Vorwürfe seitens fundamental-christlicher Gruppen und besorgter Elternverbände ist dies nicht unmittelbarer Ausdruck eines kriminell-satanistischen Weltbildes. Satan, Mephisto, Luzifer erscheint in der Heavy-Metal-Szene als eine der schillerndsten Figuren mit einer Semiotik, die weit über pubertären Teufelskult hinausreicht. Diese unterschiedliche Facetten des Teufels und des Teuflischen gilt es im Verlaufe des Vortrages anhand seiner charakteristischen Szene-Ikonographie zu analysieren, zu dekonstruieren, kulturhistorisch zu verorten und in ihren aktuellen kulturellen Wertigkeiten zu erörtern. Grundlage bildet eine Medienanalyse, die sich auf eine Auswahl von Tonträgern, Songtexten und Bandinterviews stützt. Die Adaption der Figur Teufel durch die Szene ist einerseits überraschend kreativ und innovativ, zum anderen basieren die initiierten Aneignungs- und Umdeutungsprozesse auf dem breiten Spektrum abendländischer Teufelstraditionen, begonnen bei der frühchristlichen Theologie über literarische Motive der schwarzen Romantik bis hin zu zeitgenössischen Neudeutungen durch das Genre Horrorfilm. In der Folge tritt uns der Teufel der Heavy-Metal-Szene als Figur entgegen, die souverän zwischen Kontinuität und Wandel, zwischen archaischen Vorstellungswelten und moderner (Multi-)Medialität changiert. Mehrere Motive konnten sich dabei in den letzten Jahrzehnten als Leitikonographien herausbilden. So begegnet uns der Teufel zunächst - nicht unsympathisch - in einer traditionell-christlichen Vorstellung von verkehrter Welt und Narrentum als Ikone eines regellosen, ausschweifenden Lebens. Auf dem „Highway to Hell“ (AC/DC) begleitet er die Bands und die feiernden Fans ins ewige Feuer, wo nicht die ewige Verdammnis, sondern eine große Party wartet: „Hell ain‘t a bad place to be“(AC/DC). Zum anderen erscheint der Teufel in zahlreichen Texten und Bühnenshows unter äußerst schockierenden, ja provozierenden Vorzeichen. Eingebettet in eine Ikonographie aus nächtlichen schwarzen Messen , blutigen Ritualen und apokalyptischen Schlachten wird Satan zu einer monströsen Schreckgestalt, die trotz oft starker religiöser Symbolik vielmehr an ein Ungeheuer aus einem Horrorfilm erinnert. Zuletzt muss auch jene Traditionslinie Beachtung finden, in welcher Satan tatsächlich als vermeintlicher Fixpunkt eines religiösen Systems fungiert. Gerade hier, an der Figur des nichtprofanierten Teufels, zeichnet sich eine Komplexität ab, die allein von den geisteswissenschaftlichen Disziplinen kaum zu bewältigen ist. Zwischen Modernisierung, De-Sakralisierung, Globalisierung einerseits und Regression, „Wiederverzauberung“ und Verankerung im Regionalen andererseits, wird ausgerechnet der Teufel in seiner ursprünglichsten Rolle als Feind des Menschen und der Kirche diffus und droht in die Beliebigkeit zu entgleiten.


Andreas Wagenknecht: Das Böse mit Humor nehmen. Image und Aneignung des Black Metal


Black Metal ist eine der extremsten Spielarten des Heavy Metal. Während der Name auf den Titel einer LP (1982) der englischen Gruppe Venom zurückzuführen ist, geht der Sound im Wesentlichen auf die frühen Werke (1984-85) der schwedischen Band Bathory zurück. Von einem Boom des Black Metal kann aber erst seit den späten 1980er bzw. frühen 1990er Jahren gesprochen werden, als vor allem skandinavische Bands wie Dark Throne, Satyricon und Mayhem diese Form des Heavy Metal weitergeführt und maßgeblich zu seiner Bild- und Soundästhetik beigetragen haben. Mittlerweile existiert eine nahezu unüberschaubare Anzahl an Bands und stilistischen Ausdifferenzierungen. Auf den ersten Blick finden die Selbstdarstellung der Bands und Musiker sowie die Konzeption der Musik und der Texte abseits von Humor und Selbstironie statt. Das gilt auch für die Videos, in denen eine möglichst infernale und kalte Ästhetik entworfen wird. Die Bild- und Soundwelt des Black Metal ist eine, die die Grenzen des Bösen auszuloten versucht, das christlich-abendländische Leben verneint und die Visualisierung des Diabolischen auf die Spitze treibt. Jedenfalls stellt sie sich auf der Seite von Produkt und Produzenten zumeist so dar bzw. möchte einen solchen Eindruck erzeugen. Doch die Rezipienten und Fans zeigen sich teilweise widerständig gegen dieses Image – vor allem, wenn man sich den Umgang mit den Bildern, Symbolen und Posen (Mimik und Gestik) des Black Metal auf Videoplattformen wie YouTube betrachtet. Die Aneignung des Black Metal erfolgt hier auch durch ironische und karikierende Nachstellungen und Re-Inszenierungen der Video- und Bühnenästhetik oder über parodistische Fan-Produktionen zu Songs ohne professionelles Video. Also keineswegs frei von Humor und (Selbst-)Ironie. Der Vortrag möchte einerseits einen Einblick in die „offizielle“ künstlerische Bildsprache des Black Metal geben und anderseits aufzeigen, wie diese durch einen Teil der Fans humoristisch gebrochen wird. Am Beispiel von einzelnen Fallstudien zu Filmbeiträgen auf YouTube wird aufgezeigt, dass Humor ein Bestandteil der Aneignung des Black Metal und des lebensweltlichen Verständnisses der Musik ist. Denn nur was sich neckt, dass l(i)ebt sich – vor allem, wenn man die Zeichen des Bösen in seinen Alltag integriert und dessen Sound zur Melodie seines Lebens bzw. eines Lebensabschnittes macht.


Tobias Winnerling: “The same song and dance”. Kollektiver Individualismus als selbstinduzierter Inhibitor des Heavy Metal Universe

“Those people who tell you not to take chances/ they are all missing what life's all about / you only live once so take hold of the chance/ don't end up like others the same song and dance” (Metallica, Motorbreath, auf: Kill 'Em All, Vertigo 1983). Die kulturelle Rezeption und Breitenwirkung des Heavy Metal ist, vor allem verglichen mit anderen, strukturell ähnlichen Bewegungen wie Punk, erstaunlich gering. Das scheint mir auf die Art und Weise zurückzugehen, in der im Heavy Metal das für alle musikalisch geprägten Subkulturen – denn von Jugendkulturen im eigentlichen Sinn kann man angesichts der durchschnittlichen Altersstruktur nicht mehr sprechen – gemeinsame Problem eines kollektiv zu praktizierenden, quasi obligatorischen und selbstverständlich impliziert strukturierten Individualismus angegangen wird, der eben nicht so frei ist, wie er auf den ersten Blick zu sein scheint. Metal zeichnet sich hierbei dadurch aus, dass der formalisierenden kollektiven Oberflächenstruktur zwar eine mit Sinnelementen besetzte Binnen-, aber keine ideologische Tiefenstruktur korrespondiert, so dass keine feste soziale Figuration im Eliasschen Sinne ausgebildet werden kann. Vielmehr scheint Heavy Metal aufgrund einer relativ starren Formalisierung gepaart mit basaler Beliebigkeit der Aussage tatsächlich weniger ein soziales als ein individuelles Phänomen darzustellen, das dennoch eine kollektive Funktion erfüllt: Als Affektentladungssystem betrachtet, - seien es nun sexuelles, gewalttätiges oder rauschhaftes Verlangen -, stabilisiert er seine Partizipienten für ihre Rolle in der Außenwelt jenseits des Heavy Metal Universe, weist ihnen jedoch keine von dieser unabhängige Gegenrolle zu. (Was auch meiner persönlichen Erfahrung nach Konzerten und Festivals entspricht.) Was er verspricht, ist eine temporäre Aufhebung des Problems, das Stanislaw Lem formuliert hat als die Massenträgheit der Zivilisation: Das kulturelle Erbe als “geronnener Verstand” gibt durch die in ihm abgebildeten Linien aller geistigen Bewegung eine Richtung, die sich um so starrer abzeichnet, je mehr die Masse der akkumulierten Geistesleistungen anwächst. Heavy Metal negiert diesen geronnenen Verstand und seine Beharrungskräfte ad momentum und geht zurück zu einer vermeintlich freien Ausdrucksfähigkeit des Individuums, die jedoch, wie bereits erwähnt, unausgesprochenen Beschränkungen unterliegt. Das vermeintlich rebellische Subkulturenphänomen ist aus dieser Perspektive eine Stärkung der makrokulturellen Ebene und damit paradox in sich selbst, die paradoxe Struktur des kollektiven Individualismus reproduzierend, im Dienst an der größeren Figuration dennoch aufhebend. Zu fragen bleibt, ob diese Erklärung wirklich so einfach stehenbleiben kann: Praktizieren wirklich alle (also auch ich selbst) “the same song and dance”?


Rainer Zuch: The Art of Dying – Zu einigen Strukturelementen in der Metal-Ästhetik, vornehmlich in der Covergestaltung

In Zeiten des zunehmenden Musik-Downloads spielen Tonträger im Heavy Metal eine größere Rolle als in anderen populären Kulturen. Zum Tonträger – meistens CDs, aber auch ein kleiner und stabiler Anteil an LPs – gehört seine ästhetische Ausgestaltung, hauptsächlich in Form von Cover und Booklet. Hier fließen alle Elemente ein, die den Metal als eigenständige ästhetische Formation kennzeichnen. In der Cover-Ästhetik und den verwendeten visuellen Zeichen schlägt sich sowohl der Konservatismus und die auffällige Stabilität der Metal-Kultur nieder wie auch ihre Dynamiken und Grenzverletzungen, besonders aber die zahlreichen Weltanschauungen und mythisierenden Inszenierungen, von denen Heavy Metal und seine zahlreichen Subgenres stärker geprägt ist als jede andere populäre Kultur. Die dabei benutzten visuellen Zeichen sind Ausdruck und Träger der Mythologeme und des Selbstverständnisses der jeweiligen Subgenres resp. Szenen, wobei hier inzwischen eine schier unübersehbare Differenzierung eingetreten ist. Die präsentierten Bilder zeigen oft phantastische Szenerien oder ikonisch-symbolische Arrangements, dazu kommen szenespezifische Selbstinszenierungen der Musiker. Die verwendeten visuellen Zeichen stützen die gegenseitige Verortung der Musiker und ihres Publikums in einer gemeinsamen (Sub-)Kultur und stellen somit eine identitäre Strategie dar. In meinem Beitrag möchte ich die ästhetischen Inszenierungen im Heavy Metal anhand der Tonträgergestaltung in einigen Aspekten näher beleuchten. Es geht mir dabei weniger um die augenfälligen visuellen Zeichen für Gewalt und Aggression, Krieg und Männlichkeit, Finsternis und Phantastik, sondern gewissermaßen um ästhetische Strukturelemente. Anders gesagt: Dass man ein Metal-Cover (fast) immer als solches erkennen kann, liegt nicht nur an einer identifizierbaren Ikonographie, sondern auch an grundlegenderen Gestaltungsmomenten. Die auffällige Häufung von Symmetrie, die Inszenierung des Widerstreits von Ordnung und Chaos, die Aufhebung der Grenze zwischen Ornament und Gegenstand, Bild und Schrift sowie der Einsatz und die (Zer-)Störung körperlicher Präsenz sollen hierbei im Mittelpunkt stehen.