Erinnern wir uns unserer Jugend. Einstmals gab es eine Zeitung, die da genannt wurde „Die Schbex“ (wenn man bspw. in Süddeutschland groß geworden ist). Die Spex hat den Pop erfunden, die cultural studies importiert und akademiefähig gemacht, zum ersten Mal auf Deutsch über Madonna geschrieben und armen pubertierenden Würstchen klar gemacht, dass Musik ohne Theorie und Haltung irgendwie nur Kopfnicken zu Industrieprodukten ist. Kurz und gut: Spex und (Heavy) Metal – das ging sich nicht zusammen.
Umso bemerkenswerter erscheint es nun, beim Blättern in alten Ausgaben auf Metal-Rezensionen zu stoßen. Ganz konkret: die Nummer 12/1999 u. 1/2000 versammelt unter der – Spex-üblichen zurückhaltend formulierten – Überschrift „Das letzte Wort“ milleniums-motiviert „Die 100 Platten des Jahrhunderts“. Und wer hat es sogar bei der Spex geschafft? Slayer (Platz12) & Metallica (Platz 34)! Horns up. Der vollständigen Dokumentation ist aber vor allem die Schreibe der Rezensionen wert:
Slayer - Reign in Blood
Wie alle Teens interessierten wir uns für nicht viel, was schon vor uns dagewesen war, ausgenommen Kommunismus, die beiden Weltkriege, Hurerei als Kunstform im alten Rom, Brontosaurier, Heavy Metal und die Atombombe. Dann kam diese Platte und gab uns recht. Da barsten Basaltsäulen, Clara Drechsler schrieb den besten SPEX-Artikel aller Zeiten, das Intro bzw. Outro des Titelstücks ließ die Teenagerlibido als Kriechrieseln auf den Oberarmen zu sich selbst kommen, Dehnungs- und Zugrisse in Gitarrensoli trieben das Klangmaterial bis zum Sprödbruch auf die Spitze, die Texte sprachen in chilenischassyrischem Ghoul-Englisch von blinden und stummen Männern und Weibern in zerfetzten Gewändern, die da bestraft wurden für gar nichts mit Schmerz, mit Aufhängen und vielen Wunden, politisch war's ganz große Scheiße, aber wer DAS nicht erlebt, geliebt, verehrt hat, soll sich eine Hirtenflöte in den Darmausgang rammen und die eigene Zunge zerkauen. Sinnloser Hass auf alles: ein GANZ wichtiger Ausgangspunkt für jeden normalen Menschen im 20. Jahrhundert.
(Dietmar Dath)
Metallica - Master Of Puppets
Phil Asher und mein Cousin sind sich in einem Punkt einig: wir leben in einer »Karaoke-Ära«.
Nur dass der geschmäcklerische Brite über Tanzmusik spricht, Ingo der Heizungsbauer über Metallica. Aber beide wissen verdammt genau, wovon sie reden. Mit kalten Kategorien wie Geschmack hatten Metallica nie wirklich was zu tun. Das geht sogar so weit, dass selbst ein Niels Ruf sich heute nicht so recht öffentlich dazu bekennen mag. Dabei gehört die Band, die sich von einem Schlagzeuger, der - laut Uwe, und der muss es wissen - sein Handwerk nicht beherrscht, ihre MORThrash-Epen schreiben lässt, was für Aufwachsen einer mittelmäßigen weißen westlichen Existenz ähnlich viel bedeutet wie ›Playboy‹-Centrefolds und missglückter Ladendiebstahl. »MOP«, wie wir alternden Kuttenträger dies Machwerk auch gerne nennen, brachte das System Metallica auf den Punkt. Das Gröhlen der Misfits, das Bratzen von Black Sabbath, das Gaspedal runter und die Wirklich-böse-Buben-Nummer Hannemann-King-Araya-Lombardo überlassen. Autoscooter-Hooliganism, der nach diesem Erscheinen fortan leider ohne den tragisch verunglückten Bassisten Cliff Burton auskommen musste. Ein Bruch, von dem sich die Buben aus der Bay Area nie wirklich erholen sollten.
(Torsten Schmidt)
Am Ende des Tages also müssen wir uns fragen: was war das denn? Fand das mal jemand gut? Tot des Autors, Gonzo-Journalismus, Ende der Unschuld und der Hierarchie – alles schön und gut. Aber geht’s denn auch `ne Nummer kleiner? Oder – wie es Dominik Irtenkauf letzthin so schön formuliert hat: ‚Warum kennt der Metal keine poptheoretischen Zeitschriften, in denen er nicht wie in der Spex nur ein Zaungast ist?‘
Mittwoch, 25. April 2012
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