"Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt"

Die interdisziplinäre Tagung am 3. bis 5. Juni 2010 an der HBK Braunschweig, organisiert von Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab

Anfang Juni 2010 hat die Tagung "Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt" in Braunschweig versucht, eine Leerstelle der Kultur- und Medienwissenschaft mit auszufüllen und die Komplexität des Phänomens Metal herauszustellen. Dieser Blog bündelt die Perspektiven der Konferenz und versucht den dort interdisziplinär zusammengeführten Strom aus Ideen, Projekten und Perspektiven vorläufig fortzuführen.

Mittwoch, 29. September 2010

Rezension: "Hideous Gnosis: Black Metal Theory Symposium 1"

Während gerade der Konferenzband zu “Metal Matters” entsteht, kann ein Blick auf eine artverwandte Veröffentlichung nicht schaden. Hideous Gnosis sammelt die Beiträge zum “Black Metal Theory Symposium 1“, das am 12. Dezember in Brooklyn, NY stattfand. Die Zahl im Titel deutet an, dass die Organisatoren es nie dabei bewenden lassen wollten; der zweite Teil zum Thema „Melancology“ (also grob gesagt der Umwelt im weitesten Sinn) wurde für den 13. Januar 2011 in London angekündigt.

Wie auch „Metal Matters“ stieß das erste Symposium durchaus auf Widerstand bei den Metallern, wie die Kommentare im zugehörigen Blog zeigen, die auch teilweise am Ende des Konferenzbandes abgedruckt wurden; insgesamt ist man sich einfach nicht sicher, ob Kulturwissenschaft und Metal überhaupt zusammengehen, ob dem Metal dadurch nicht geschadet wird, und ob man ihn nicht intellektualisieren, totdiskutieren und missverstehen würde. Wenn man Hideous Gnosis liest, muss man den Kritikern im Vorfeld leider rechtgeben, wenn auch aus teilweise unerwarteten Gründen.

Die Aufsätze sind von bestenfalls durchwachsener Qualität, und das größte Problem ist, dass oftmals Wissenschaftlichkeit durch unerträglichen Jargon vorgegaukelt wird, hinter dem sich aber nur antrainierte akademische Reflexe verstecken. Beispielsweise hört sich Aspasia Stephanous Betrachtung der Wolfssymbolik im Black Metal wirklich wie eine gute Idee an, aber wenn jemand auf nur elf Seiten Deleuze und Guattari, Virilio, Freud, Kristeva, Lacan und Marinetti unterbringen will, ohne sich die Mühe zu machen, deren Texte zu erklären oder auch nur das eigene Verständnis nachzuweisen, dann kann man sich vorstellen, wie produktiv diese Analyse wissenschaftlich gesehen ist, vom Unterhaltungs- und Informationswert für Nichtwissenschaftler ganz zu schweigen. Der Jargon klingt oftmals so, als wolle sich ein Autor angesichts eines populärkulturellen Themas unbedingt seiner Wissenschaftlichkeit versichern, die er allerdings anstatt über eine kluge Analyse leider über eine gewisse Sprache definiert; im schlimmsten Fall weiß man nicht, ob man es nicht mit einer Parodie zu tun hat. Das andere Extrem des Konferenzbandes besteht darin, dass einige Texte wie expressionistische Manifeste wirken, die weder Argumente noch Thesen präsentieren, aber dafür assoziativ und mit oft lächerlich pompöser Rhetorik vorgehen; „Transcendental Black Metal“ von Hunter Hunt-Hendrix ist nur ein Beispiel dafür. Man fragt sich so bei praktisch jedem Text, ob der jeweilige Autor in wenigen Sätzen erklären könnte, was er sagen will, ja ob er es überhaupt selbst weiß; manche Texte sind einfach Quatsch. Die rühmliche Ausnahme ist Benjamin Noys’ “‘Remain True to the Earth!’: Remarks on the Politics of Black Metal”, der klare Argumente verständlich vorbringt und umfassendes Fachwissen ebenso mitbringt wie die Begeisterung für die Musik, die seinen Text auch für Fans öffnet, die keinen geisteswissenschaftlichen Abschluss mitbringen.

Insgesamt krankt das Buch an schlechter editorischer Arbeit. Die Artikel wirken, als wären die Vorträge unbearbeitet gedruckt worden, und das gesamte Buch wirkt wie Stückwerk. Anstelle einer Einleitung, die der Veröffentlichung einen Rahmen und dem Leser somit Hilfestellung hätte geben können, findet man ein Zitat aus jedem der Aufsätze; diese selbstverliebte Nabelschau ist es, die mich an dem Buch am meisten stört. Die meisten Beteiligten finden sich selbst allzu cool dabei, Black Metal (wie rebellisch!) kulturwissenschaftlich (doppelt rebellisch!) zu betrachten, und dabei muss man ihnen nicht unbedingt gerne zusehen.

Somit kann ich Hideous Gnosis leider nur insofern empfehlen, als es zumindest stellenweise für eine wissenschaftliche Betrachtung des Black Metal nützlich sein könnte. Jeder, der zum Thema arbeitet, kann einen Blick riskieren, aber gäbe es nicht so wenige Publikationen dazu, hätte es sicherlich kaum Beachtung verdient. Als Fan bin ich (bis auf oben genannte Ausnahme) schlicht enttäuscht.

Hideous Gnosis: Black Metal Theory Symposium 1. Hg. Nicola Masciandaro. CreateSpace, 2010. ISBN: 1450572162. 292 Seiten. 17$.

http://blackmetaltheory.blogspot.com

Inhalt:
Steven Shakespeare, “The Light that Illuminates Itself, the Dark that Soils Itself: Blackened Notes from Schelling’s Underground.”
Erik Butler, “The Counter-Reformation in Stone and Metal: Spiritual Substances.”
Scott Wilson, “BAsileus philosoPHOrum METaloricum.”
Hunter Hunt-Hendrix, “Transcendental Black Metal.”
Nicola Masciandaro, “Anti-Cosmosis: Black Mahapralaya.”
Joseph Russo, “Perpetue Putesco – Perpetually I Putrefy.”
Benjamin Noys, “‘Remain True to the Earth!’: Remarks on the Politics of Black Metal.”
Evan Calder Williams, “The Headless Horsemen of the Apocalypse.”
Brandon Stosuy, “Meaningful Leaning Mess.”
Aspasia Stephanou, “Playing Wolves and Red Riding Hoods in Black Metal.”
Anthony Sciscione, “‘Goatsteps Behind My Steps . . .’: Black Metal and Ritual Renewal.”
Eugene Thacker, “Three Questions on Demonology.”
Niall Scott, “Black Confessions and Absu-lution.”
DOCUMENTS: Lionel Maunz, Pineal Eye; Oyku Tekten, Symposium Photographs; Scott Wilson, “Pop Journalism and the Passion for Ignorance”; Karlynn Holland, Sin Eater I-V; Nicola Masciandaro and Reza Negarestani, Black Metal Commentary; Black Metal Theory Blog Comments; Letter from Andrew White; E.S.S.E, Murder Devour I.

1 Kommentar:

  1. danke!
    die kritik hat mich soeben davon abgehalten dieses buch zu bestellen. ich war kurz überschwenglich begeistert, weil es ja relativ wenig theorie zu black metal gibt. und es vielleicht besser so, wenn die qualität dermassen zu wünschen übrig lässt.

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